Enttäuscht, überrascht: Dexter, Homeland, Misfits & The Fades

Zum Ende ihrer aktuellen Staffeln ein paar zweitverwertete Worte zu folgenden Serien.

Dexter
= Millennium (Staffel 1) verdreht + Miami

Der Titelheld der Serie ist ein Blutspurenanalyst beim Morddezernat von Miami, gleichzeitig aber auch ein Serienmörder. In frühester Kindheit erlebte Dexter die brutale Ermordung seiner Mutter, wodurch ein Tötungstrieb - sein "dunkler Begleiter" - in ihm erwachte und ihn zudem emotional abstumpfte. Sein Adoptivvater, dessen leibliche Tochter heute ebenfalls bei der Polizei arbeit, entwickelte einen Kodex für ihn, um Dexters Blutlust auf Kriminelle zu lenken, die ihrer rechtmäßigen Strafe entgangen sind.

In bisher sechs Staffeln zu je 12 Episoden (S03) erlebt der Zuschauer Dexters tägliche Herausforderungen im normalen Sozialleben, bei der Geheimhaltung seines wahren Ichs sowie seiner Jagd auf Serienmörder und andere Verbrecher - immer aus dem Off kommentiert von Dexter selbst (im Englischen mit trockener, im Deutschen eher jovialer Stimme). Dabei kann sich die Serie auf eine Vielzahl interessanter Nebenfiguren wie bspw. Dexters dauerfluchende Stiefschwester Debra, eine hervorragende Inszenierung und spannende Katz-und-Maus-Spiele verlassen. Trotzdem wurden schon bald bekannte Elemente wiederverwandt, aber gekonnt umarrangiert, um immer neue Aspekte von Dexters Wesen und etwaige Veränderungen daran zu erkunden. Ich sah schon früh die Gefahr, dass die Serie sich irgendwann totläuft (haha) und so die Chance verspielt werden würde, ein episches Finale - nämlich Dexters Enttarnung - zu präsentieren. Dass die außergewöhnliche Qualität so lange gehalten werden konnte und Staffel 5 sogar noch einen unerwarteten Höhepunkt darstellte, überraschte mich - Dexter blieb all die Jahre weit vorne in der Serienlandschaft.

Nach Staffel 5 schrieb ich: "Jetzt ein spektakulärer Serienabschluss mit Dexters Enttarnung in Staffel 6?" Doch es folgte der Absturz! Die Wiederverwendung bekannter Bausteine geriet nun einfallslos und nachlässig, das zentrale Motiv der Religion war schlussendlich wenig zielführend und Dexters Gegenspieler sowie die Dramatik generell durchwachsen. Eine wichtige Wendung der Staffel wusste ich bereits nach der ersten Folge! Bezeichnenderweise hatte die Staffel für Dexter kaum Auswirkungen, seine Schwester stand viel mehr im Mittelpunkt - und leider wurde ihr dabei eine hanebüchene Charakterentwicklung von den Drehbuchschreibern aufgezwängt. Und dann die letzte Szene, die etwas Hoffnung macht - obwohl es noch zwei weitere Staffeln geben wird...

Dexter | USA 2006+ | Developed by James Manos, Jr. | Darsteller: Michael C. Hall, Jennifer Carpenter, James Remar, Julie Benz, David Zayas, Lauren Vélez, Desmond Harrington, Erik King, C.S. Lee u.a.

Homeland
= Sleeper Cell + Rubicon + CIA

Eine CIA-Agentin erfährt, dass ein US-Soldat von Islamisten zu einem Terroristen "umgedreht" worden sein soll. Einige Monate später wird ein seit acht Jahren vermisster Marine im Irak befreit. Zurück in der Heimat und bei seiner Familie wird er als Kriegsheld gefeiert, während die CIA-Agentin als einzige in ihm den Schläfer vermutet und ihn auf eigene Faust überwacht.

Homeland basiert auf der mir unbekannten israelischen Serie Hatufim und umfasst aktuell eine Staffel mit 12 Folgen; eine zweite Season wird 2012 folgen (übrigens: Die Sendungen meiner "Serienformel" habe ich nicht gesehen, nur nachgelesen). Die Besonderheit Homelands ist das Spiel mit dem Wissen und Nichtwissen des Zuschauers und der Charaktere, also ein gekonnter Wechsel von Suspense und Surprise. Besonders zu Beginn scheint sich mit jeder Folge alles zu ändern und Bekanntes eine neue Bedeutung zu erhalten. Sowohl der Marine als auch die CIA-Agentin haben ihre Geheimnisse, die nur Stück für Stück enthüllt werden (eine 24'sche Maulwurfsjagd wird Homeland aber nicht). Anfangs wohl zur Zuschauerfindung noch auffallend tittenlastig, stehen ab ungefähr der Staffelhälfte die Hauptcharaktere samt Seelenleben und Beziehungsgeflecht im Mittelpunkt. Und während manche Serien zum Finale schwächeln, bietet Homeland drei phänomenale und konsequente letzte Folgen. Eine durchgehend herausragende Serie und mit Leichtigkeit einer der besten Neustarts 2011! Die zweite Staffel wird es schwer haben.

Homeland | USA 2011+ | Developed by Howard Gordon, Alex Gansa | Darsteller: Claire Danes, Damian Lewis, Morena Baccarin, Mandy Patinkin, David Harewood, Diego Klattenhoff u.a.

Misfits
= Heroes + Plattenbau + Comedy

Fünf Jugendliche müssen gemeinnützige Arbeit in einer tristen englischen Wohnsiedlung verrichten, als sie von einem merkwürdigen Sturm erwischt werden, der ihnen verschiedene Superkräfte verleiht. Während Serien wie Alphas und vor allem Heroes einen größeren Maßstab wählen ("Rette die Cheerleaderin, rette die Welt"), verbleibt Misfits lange Zeit bei seinen Protagonisten und deren unmittelbarem Umfeld (Gegenspieler sind dann z.B. Bewährungshelfer); der Vorort samt Gemeindezentrum wird fast nie verlassen. Zu Beginn steht natürlich das Kennenlernen der Gruppe und ihrer Fähigkeiten sowie die Fehlgriffe, die zum Community Service führten, im Mittelpunkt. Während die Superkräfte an sich wenig einfallsreich gerieten und fast komplett aus Heroes kopiert wurden, sind die Anwendungsfälle und generell die Hauptfiguren wesentlich unernster angelegt: Besonders Robert Sheehans Charakter Nathan verhält sind fast immer daneben und sorgt alleine für eine Menge Lacher - Misfits ist eine der witzigsten Sendungen der letzten Jahre und dabei noch nicht einmal explizit Comedy! Wie fast alle britischen Serien werden auch immer wieder ernste und abgründige Themen aufgegriffen (trotz jugendlicher Figuren behandelt Misfits nicht nur Probleme von Heranwachsenden).

Bis jetzt umfasst Misfits drei Staffeln mit insgesamt 21 Episoden; eine vierte Season soll 2012 kommen. Die zweite Staffel konnte das grandiose Niveau noch insgesamt halten, aber danach stieg Robert Sheehan aus. Ersetzt wurde er durch eine charakterlich ähnliche, aber extremere Version von Nathan, die nur noch vulgär und nicht mehr glaubhaft war. Gleichzeitig wurden leider auch die Geschichten der einzelnen Folgen fahrig, mit dem (nicht so wichtigen) Hauptplot ging es kaum voran, die Superkräfte kamen selten zum Einsatz und einige Protagonisten hatten wenig zu melden. Es gab weiterhin tolle Ideen wie z.B. die Nazi-Folge (wo man auch schön das geringe Budget der Serie erkennt), aber der Zenit war deutlich sichtbar überschritten. Misfits gehört 2011 also in eine Reihe mit Fringe und Dexter. Bezeichnend, dass die beste Episode das Staffelfinale war, weil es sich direkt auf die erste Season bezog - ein inhaltlich trauriges, aber qualitativ versöhnliches Ende. In der vierten Staffel werden zwei weitere Darsteller nicht mehr mitspielen, somit kann die Serie wohl abgehakt werden. Die ersten beiden Staffeln von Misfits bleiben unbedingte Empfehlungen!

Misfits | UK 2009+ | Created by Howard Overman | Darsteller: Robert Sheehan, Iwan Rheon, Antonia Thomas, Nathan Stewart-Jarrett, Lauren Socha, Joseph Gilgun u.a.

The Fades
= The Walking Dead + Geister + Nerds

Ein kleiner Geheimbund hielt jahrelang Geister - die "Fades" - in Schach, doch zuletzt schafften diese es mit unserer Welt zu interagieren, meist auf blutige Weise. Zwei Schüler, Film- und Comicfans sowie Außenseiter, werden in den Konflikt hineingezogen, auch weil einer von ihnen übernatürliche Kräfte offenbart...

Wieder einmal tat ich mich mit obiger Serienformel schwer, weil The Fades eine Genremischung darstellt: Familien-, Adoleszenz-, Geister- und Endzeitgeschichte, alles ist drin. Bei nur sechs Episoden zu je 55 Minuten ist der Handlungsverlauf bis auf wenige Situationen sehr stringent und wird zunehmend dramatischer. Die Protagonisten sind oft überfordert und geraten in Sinnkrisen, während die Aussichten zunehmend düsterer werden und die Zeichen auf Apokalypse stehen. Emotionale Szenen, trotzdem immer wieder lustige, popkulturell durchsetzte Dialoge, interessante und ambilvalente Charaktere (der Oberbösewicht mag gewöhnungsbedürftig sein) - The Fades ist "typisch britisch" vielschichtig. Dafür sind Spezialeffekte nicht immer auf dem neuesten Stand, aber interessant konzipiert. Ob es eine zweite Staffel geben wird, ist noch nicht bekannt; das Cliffhanger-Ende hat mir sehr gefallen. Der Geheimtipp 2011 [leider ohne weitere Staffeln]!

The Fades | UK 2011 | Created by Jack Thorne | Darsteller: Iain de Caestecker, Natalie Dormer, Tom Ellis, Johnny Harris, Daniel Kaluuya, Daniela Nardini, Claire Rushbrook, Sophie Wu u.a.

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