Sonntag, 29. Juni 2008

Blade Runner (RetroZock)

«All those moments will be lost in time like tears in rain.»
Wie bespricht man ein cineastisches Adventure, das sich stark an Ridley Scotts Blade Runner von 1982 anlehnt, wenn man den legendären SF-Film schon sehr lange nicht mehr gesehen hat - und noch niemals als Director's bzw. Final Cut? Antwort: Auf intermediale Ausführungen muss verzichtet werden.

In Jahr 2019 ist Los Angeles zu einem endlosen, verdreckten Moloch geworden. Nach dem dritten Weltkrieg sind Pflanzen und Tiere überwiegend ausgestorben, Genetikdesigner erschaffen daher künstliche Imitate - auch Menschen, sogenannte "Replikanten". Die aber werden auf den Weltraumkolonien ein- bzw. eher ausgesetzt und dürfen unter Todesstrafe niemals zur Erde zurückkehren. Diejenigen, die es trotzdem wagen, werden von einer Spezialeinheit der Polizei gejagt, den "Blade Runnern".

Solch einen Superbullen namens Ray McCoy steuert man im 1997er Spiel Blade Runner in klassischer Point&Click-Manier durch die für damalige Verhältnisse hervorragend gerenderten, wenn auch nicht übermäßig interaktiven Örtlichkeiten, die mit einer Menge Hintergrundanimationen und Spezialeffekte wie Regen und Licht noch verschönert werden. Manchmal gibt es gar Kamerafahrten, die dynamischer wirken als beispielsweise in The Moment of Silence (House of Tales 2004), und auch immer noch ansehnliche FMVs. Die Charaktere und aufsammelbaren Objekte in sehr pixeliger Pseudo-3D-Voxel-Optik fallen dagegen leider ab und auch entsprechend auf. Ausgänge und Hotspots lassen sich nicht anzeigen, immerhin rennt McCoy bei Doppelklicks zunehmend schneller.

Bemerkenswert an Blade Runner ist, dass es zum einen ein Kampfsystem gibt: Bei Rechtsklick wird die Pistole gezückt, um damit dann (nur) auf Feinde zu schießen, wobei die Waffe verzieht und der Fadenkreuz-Mauszeiger springt; es gibt auch eine Übungsschießanlage, nur glänzten bei mir die virtuellen Pappkameraden durch Abwesenheit. Allzu oft gerät man nicht in Feuergefechte, in denen man jedoch - ebenso wie in wenigen anderen Begebenheiten - sogar sterben kann!
Zum anderen existieren keinerlei ansonsten für Adventures typische Kombinations- und Anwendungsrätsel mit Inventargegenständen. Man sammelt zwar auch einige Dinge auf, die besonders zu Spielbeginn noch analysiert werden müssen, aber dies dient nur zur Hinweisgewinnung. Alle Informationen wie z.B. Zeugenaussagen werden im Future-PDA "KIA" ("Komm-Interkonnektdaten-Assistenten"...) verwaltet, mit welchem man durch verschiedene Filterfunktionen gespeicherte Beweise, Indizien, Verbrechen und Verdächtige in Verbindung bringen kann.

Toll, dachte ich mir, da muss ich dann sicher in die Story eintauchen und mir selbst Beweisketten und Schlussfolgerungen mithilfe des KIA zurechtbasteln - dem war aber irgendwie nicht so... Das Spiel hat nämlich eine Besonderheit: Blade Runner läuft bei jedem Spielstart etwas anders ab: Wo wann welche Gegenstände oder Personen auffindbar und ob letztere Replikanten sind, variiert, es gibt unterschiedliche Enden und laut Anleitung ändern die wichtigsten Figuren abhängig von den Handlungen des Spielers durch eigene K.I.-Routinen ihr Verhalten.

Bei mir muss nun wohl die K.I. jeweils die schlechteste Wahl getroffen haben, denn obwohl ich den "Director's Cut"-Modus für den optimalen Spielverlauf (nachträglich) aktivierte, wurde ich dauernd mit wildfremden Personen konfrontiert, die bereitwillig Infos zu Vorfällen erzählten, von denen ich bisher aber noch gar nichts gehört hatte. Als ich einen Häftling gezielt über ein mir unbekanntes Verbrechen ausfragen konnte ("Worüber reden die?!"), aber erst danach vom eigentlichen Vorfall erfuhr, wähnte ich mich in einem Zeitparadoxon.
So verlief das Spiel für mich meist ziemlich ruppig und ich stolperte von vielen Namen verwirrt von Zwischensequenz zu Skriptszene, ohne recht in die Geschichte und dessen Kriminalhandlung eintauchen zu können, weswegen ich manchmal auch planlos in eine Komplettlösung schauen musste: Dort las ich dann, wie das Spiel wohl im Idealfall verlaufen könnte (in einigen Locations passierte bei mir z.B. gar nichts, sie schienen aber wichtig). Vielleicht habe ich ja durch unbewusst trotteliges Vorgehen dank der Nichtlinearität - man muss nicht zwingend immer jedes Indiz finden - selbst Schuld am Spielverlauf gehabt...?

Genervt hat mich noch, dass sich bekannte Dialoge - keine Untertitel möglich - nicht abbrechen lassen; (optionale) Auswahlmöglichkeiten in Gesprächen kommen eher selten vor, man weiß also nicht immer, was beim Klick auf eine Figur alles erzählt wird. Manchmal läuft auch noch eine Skript- oder Audiosequenz, trotzdem ist der Mauszeiger bereits sichtbar, ohne dass man irgendwo klicken könnte. Dafür sind die zahlreichen deutschen Sprecher wirklich hervorragend und die düstere Atmosphäre wird insgesamt glaubwürdig transportiert.

Kurz nach dem Einlegen der vierten CD-ROM war dann mit einer winzigen Endsequenz Schluss und ich dezent enttäuscht - das Spiel bekam in der deutschen Fachpresse damals immerhin Wertungen bis über 90%! Mich konnte die in Adventures per se wichtige Geschichte aber wegen der kruden Erzählweise nur selten fesseln, als Herr der Lage fühlte ich mich beim Durchspielen kaum, sondern reagierte oft nur auf nicht wirklich durchschaubare Ereignisse. Es mag aufgrund der halbdynamischen Story auch ein flüssigerer Spielverlauf möglich sein (7/10) und Blade Runner-Fans werden eh darüber hinwegsehen (8+/10), zumal einige Orte und Personen aus dem Film auftauchen. Ich aber hatte ein anderes Spielerlebnis. [6/10]

Blade Runner (PC)
Dice/Electronic Arts/Westwood 1997 | MobyGames | OGDb
Director: Donny Blank
Updates: Fazit/Wertung überarbeitet, Kampfsystem u.a. ergänzt

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