Montag, 6. Dezember 2010

The Wicker Men

Robin Hardys The Wicker Man aus dem Jahre 1973 gilt als Kultfilm, wird als einer der besten britischen Filme aller Zeiten und gar als "The Citizen Kane of Horror Movies" bezeichnet. Was das Zitat genau aussagen soll, weiß ich leider nicht - aus heutiger Sicht ist der Film weder besonders gruselig noch anspruchsvoll.

Der Inhalt (Spoiler!): Ein Polizist (Edward Woodward) reist auf eine isolierte Insel, nachdem ein Brief von einem dort verschwundenen Mädchen berichtete. Die Bewohner geben sich verschwiegen und wollen das Mädel auf einem Foto nicht erkennen - selbst die Mutter nicht! Bald entdeckt der streng katholische Polizist Widersprüche und kommt zu dem Schluss, dass dem Mädchen die Schuld an der letztjährigen Missernte gegeben wird und es deshalb im Sinne des auf der Insel praktizierten Naturglaubens geopfert werden soll. Doch er muss erkennen, dass alles ein abgekatertes Spiel der Insulaner war, und wird schließlich im "Wicker Man", einer riesigen, aus Weidenzweigen geflochtenen Statue verbrannt.

Die Ermittlungen des forschen Polizisten sind nicht übermäßig spannend inszeniert, zumal viele Hintergründe sich recht früh andeuten - oder mit dem Holzhammer präsentiert werden, wenn der Schutzmann seiner Majestät in der Bibliothek der Insel laut in einem Buch über Opferrituale liest. Während eine Bewohnerin daneben sitzt!

Mehr Unterhaltungswert gewinnt The Wicker Man heutzutage durch die irritierende Darstellung des Inselbrauchtums. Man huldigt den "alten Göttern", die sich im ewigen Kreislauf der Natur, durch Tod und Fortpflanzung offenbaren. So beobachtet der Polizist in der ersten Nacht sich paarende Paare auf den Wiesen und im Gasthaus singen Jung und Alt anzügliche Lieder über die schöne Wirtstochter (Britt Ekland).

Es existieren mehrere Schnittfassungen des Films: Im Original tanzt die nackte Wirtstocher im Nachbarzimmer des Polizisten seltsam herum, trommelt gegen die Wand und singt ein verlockendes Lied, während unten im Schankraum die Gäste den Beat vorgeben. Der Polizist kann sich nur mühsam beherrschen und wird von ihr am nächsten Morgen auch offen gefragt, warum er sie denn nachts nicht besucht hätte. Im Director's Cut tanzt sie erst später als Sirene herum, stattdessen schickt der ansonsten lange Zeit nicht auftretende Lord Summerisle (Christopher Lee) der Wirtsmaid einen Jüngling und die lautstarke Liebe samt Hippiemusik von unten bringt den Cop um den Schlaf. Parallel dazu werden kopulierende Schnecken montiert...

Derartige Merkwürdigkeiten passieren öfters im Film, der aufgrund der vielen diegetischen Gesangseinlagen stellenweise wie ein Musical zum Thema Fortpflanzung wirkt, frühzeitige Aufklärung und Bewegungsübungen inklusive. Das Highlight dürfte die Maibaumszene sein - phallic symbol, touch it! Nackt übers Feuer springende Mädchen, lebenden Frösche im Mund gegen Halsschmerzen und Christopher Lee mit wirren Haaren und steilen Outfits (u.a. als Frau) sind weitere verwirrend-unterhaltsame Augenblicke. Ein gewichtiger Themenkomplex, nämlich die aufeinander prallenden Religionen - Wiedergeburt vs. Wiederauferstehung -, funktioniert in unserer heutigen säkularisierten Welt nur noch bedingt, zumindest dürften viele die christlichen Ereiferungen des Polizisten nur mit einem Schulterzucken quittieren.



2006 erschien ein gleichnamiges US-Remake von Regisseur Neil LaBute mit Nicolas Cage in der Rolle des Polizisten. Im Director's Cut des Originals gab es einige Minuten (unnötiger) Vorgeschichte, die nicht auf der Insel spielten. Natürlich kommt kein Hollywood-Film ohne so etwas aus, also die volle Ladung: Cage kontrolliert ein Auto, das plötzlich von einem Truck gerammt wird. Fahrerin tot, Kind verbrennt auf der Rückbank und schon kann Cage seine Paraderolle als weinerlich-mitgenommenes Wrack spielen, das seit dem Vorfall unter Alpträumen und Visionen leidet. Und da die Macher wohl früh gemerkt haben, dass The Wicker Man im Kern gar nicht gruselig ist, werden die Träume und Einbildungen überstrapaziert - natürlich ohne dem Film zu helfen. Das Mädchen im Auto konnte der Cop nicht retten, aber vielleicht das lost girl, von dem ihm ein Brief berichtet - geschrieben von der Frau, die er vor Jahren fast geheiratet hätte (Kate Beahan)! Okay, was fehlt hier noch? Genau, als Pseudotwist kommt später heraus, dass das Mädchen seine Tochter ist.

Und um den Zuschauer nicht zu überfordern, wird schon vor dem Erreichen der Insel erklärt, dass dies eine Farmerkommune in Privatbesitz ist, schön anachronistisch ohne Telefon und mit rustikalen Häusern. Kurz nach der Ankunft heißt es schon "Unsere Ernte im letzten Jahr war verflucht" und zwei Hutzelweiber murmeln von der Rückkehr des "Wicker Man". Cages Ex-Flamme und Mutter des gesuchten Görs ist dann aber auf Seiten des Cops und berichtet verängstigt von Beobachtung und Kontrolle durch die anderen Bewohner, die natürlich keinerlei zotige Lieder singen. Titten und "Hoppe, hoppe, Reiter" wurden auch gestrichen, einzig in der Dorfschule können die fleißigen Schülerinnen die Frage beantworten, was den Mann in seiner reinsten Form repräsentiert: Das Phallussymbol; der Maibaum steht derweil ungenutzt im Hintergrund rum.

Wie schon im Original kommt kaum ein Gefühl der latenten Bedrohung auf, was beim Remake, das stärker damit spielt, wenig vorteilhaft ist. Des Schaueffekts wegen hat Cage eine Bienenallergie, knallt in einen Bienenstock und wacht im Haus des hier weiblichen Anführers auf, Schwester Summerslsle (Ellen Burstyn). Die interessante Idee der Matriarchatsgesellschaft wird jedoch kaum ausgeführt, von ein paar schüchtern-schweigsamen Männern abgesehen.

Irgendwann geht es dann zum Finale, Cage durchsucht wie im Original jedes Haus und mogelt sich unter die Ritualteilnehmer, nicht ohne zuvor ein paar Frauen zu verprügeln (ungefähr einziger WTF-Moment des Films, auch wenn schon sehr deutlich daneben geschlagen wird). Immerhin wird Cage dann auch im Wicker Man verbrannt, ohne die christlichen Monologe von 1973, sondern "nur" unter Schmerzensschreien. Man hat ihm nämlich vorher noch schnell beide Beine gebrochen und ihn Candyman-mäßig mit Bienen traktiert - überflüssige Gewalt, die in der deutschen Version gekürzt wurde. Dafür gibt's einen dämlichen Epilog, in dem Cages Ex auf dem Festland wieder auf Opfersuche geht.



Das Remake ist ein langweiliger Film, der eine Zeitlang falsche Erwartungen weckt (unheimliche Visionen, Kinoplakat!), ansonsten vieles in Eindeutigkeiten erstickt. Im Original waren die Insulaner auf den ersten Blick normale Menschen, hier Amish-Abklatsche - also von vornherein als bedrohliche Spinner identifizierbar. Deshalb wurde auch das abschließende Ritual stark zusammengekürzt, da eben der Widerspruch zwischen moderner Gesellschaft und archaischer Religion fehlt. Das Original ist sicherlich nicht spannender, aber koitale Volksweisen und blanke Busen sind unterhaltsamer als Nicolas Cage, der drei Frauen K.O. schlägt.

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