Another World (RetroZock)

Wenn man in einem Spiel bereits in den ersten beiden Szenen nach wenigen Sekunden ohne eigenes Zutun stirbt, sollte klar sein: Ein aktuelles Game liegt kaum vor. In der Tat geht es hier um den über 16 Jahre alten Action-Adventure-Klassiker Another World, in dem es den Juniorprofessor Lester Knight Chaykin nach einem Blitzeinschlag in eine unbekannte Welt verschlägt. Hätte der smarte Bursche in Shirt und Sneakern wohl besser nicht mit seinem Ferrari dem Hochsicherheitslabor einen Besuch abstatten sollen, um nachts den Partikelbeschleuniger zu testen...

Another World, in den USA dumpfer Out of this World, stammt aus der Zeit, als ein Mann alleine noch ein ganzes Spiel erschaffen konnte. Design, Grafik, Programmierung und selbst die Covergestaltung gingen auf das Konto des Franzosen Éric Chahi, nur bei Musik und Soundeffekten wurde er von Jean-François Freitas unterstützt.
Man muss jedoch deutlich sagen, dass Another World selbst nach heutigen Maßstäben kein besonders umfangreiches Spiel ist; die ursprüngliche Amiga-Fassung von Ende 1991 war sogar noch kürzer als die späteren Umsetzungen und die vorliegende 15th Anniversary Edition mit ihren ungefähr sieben thematischen Abschnitten. Ich habe leider die Spielzeit nicht genau verfolgt, ein geübter Spieler wird das Ende aber wohl nach weniger als einer Stunde sehen können!

Und Übung ist bei Another World sehr wichtig, denn frühe Computerspiele waren noch gegen den Spieler, so auch Éric Chahis Werk. Man kann viele Situationen beim ersten Mal gar nicht überleben und muss sich via "Trial and Error" vorkämpfen, was bedeutet: Tödliche Gefahr lokalisieren (= sterben) und dann Gegenmaßnahmen erkennen und einleiten, was wiederum mehrfaches Sterben bedeutet, da kaum ein einzelner Versuch ausreicht.
Die Gefahren treten dabei nicht nur als überraschend auftauchende Gegner in Erscheinung, sondern ebenso als lebensfeindliche Umgebungen voller Abgründe, Sackgassen und Fallen. Da Another World ein Action-Adventure ist, muss oft erst herausgefunden werden, wie und in welcher Reihenfolge bestimmte Hindernisse zu überwinden sind. Ganz selten gibt es sogar kleinere Freiheiten, aber grundsätzlich verläuft das Spiel linear. Ein paar Szenen können ziemlich frusten, zum Glück bietet die 15th Anniversary Edition großzügig verteilte Checkpunkte, an denen automatisch gespeichert wird; die Amiga-Version bot wohl nur 15 Punkte, jetzt sind es über 30 Stück.

Obwohl die Steuerung nur vier Richtungstasten und einen "Feuerknopf" benötigt und mit Gehen, Rennen, Springen - zum Glück optional per separater Taste - und Schießen (normaler und starker Schuss sowie Energieschild) nur das Nötigste offeriert, gibt es viele "kontextsensitive" Stellen, an denen Lester einzigartige Aktionen vollführt. So rettet er sich vor einer schwarzen Bestie durch den akrobatischen Einsatz einer Liane oder hangelt an Stalaktiten entlang.

Berühmt ist Another World wegen seiner cineastischen Inszenierung: Regelmäßig gibt es kurze Filmszenen in Spielgrafik, beispielsweise wenn Lester gerade wieder von einem außerirdischen Wurm totgestochen wurde, oder im Vorder- und Hintergrund passiert irgend etwas. Außerdem existieren keinerlei Bildschirmanzeigen, da man eh nach einem Treffer verreckt und außer einer Laserpistole nichts besitzt. Nach dem kurzen Intro kommt keinerlei Text oder Sprache mehr vor, die Aliens brabbeln wenn überhaupt nur Unverständliches.
Eine ausgeprägte Geschichte wird in Another World aber auch gar nicht erzählt, Lester muss schlicht in der fremden, von Sklaverei und Militarismus geprägten Welt überleben und später mit einem außerirdischen Häftling fliehen, der dann bei allein unüberwindbaren Hindernissen Lester selbstständig hilft. Es ist beeindruckend, wie die niedergehende Welt ohne weitergehende Erklärungen einzig durch das Spielgeschehen und die Grafik charakterisiert wird.
Während die von Blautönen dominierten Hintergründe der einzelnen Bildschirme aus gezeichneten Bitmaps bestehen, sind die Spielobjekte aus Polygonen zusammengesetzt. Dadurch bieten sie zwar kaum Details, aber eine ganz eigene Ausstrahlungskraft - und sind für damalige Verhältnisse hervorragend animiert.

In der 15th Anniversary Edition lassen sich zudem technische Verbesserungen aktivieren: Puristen spielen mit originalen Polygonmodellen (Auflösung von 320 x 200) und groben 16-Farben-Hintergründen, aber man kann sowohl hoch aufgelöste Objekte als auch von Éric Chahi verbesserte Hintergründe benutzen. Ich wählte die schickeren Backgrounds sowie den ebenfalls verfügbaren "überarbeiteten Sound", verzichtete jedoch auf die hohe Auflösung, da es mir dann zu sehr nach Flash aussah.
Im Fenstermodus lief Another World ruckelig, ich habe mit überwiegend flüssigem Vollbild gespielt (1024 x 768; laut Packungstext bis zu 2048 x 1536 möglich). Anstatt der Tastatur kam mein RumblePad 2 zum problemlosen Einsatz (abgesehen davon, dass dessen Steuerkreuz schwammig ist). Für wahre Profis ist die hohe Spielgeschwindigkeit gedacht, aber damit dürften spätere Schießereien, die den exakten Einsatz von Schild und schildbrechendem starken Schuss verlangen, ziemlich unschaffbar sein.

Online ist die Neuauflage für unter 10 € erhältlich, die deutsche CD-Version kostet 14,99 €; zugeschlagen habe ich, weil das Spiel für 5,99 € im Saturn verramscht wurde. Neben Werbung gibt es einiges an Bonusmaterial:
Ein dünnes Booklet, ein knapp 18minütiges, französisches WMV-Video mit deutschen Untertiteln, in dem Chahi, Freitas und andere zurückblicken und interessante Anekdoten erzählen, zwei PDF-"Entwicklertagebücher" mit Fotos von Chahis Programmcode und kommentierten Designskizzen sowie die Amiga-Version des Spiels im ADF-Format! Um sich nicht die Überraschung zu verderben, sollten die PDFs und das Video erst nach dem Durchspielen begutachtet werden. Dort wird z.B. enthüllt, dass der sich aufladende starke Schuss vom "Kamehame-Ha" inspiriert wurde; in Deutschland erschien Akira Toriyamas Dragon Ball erst ab 1997, da sieht man die Unterschiede zu Frankreich in der Comickultur.
Außerdem liegt eine Audio-CD mit dem überarbeiteten Soundtrack von Jean-François Freitas bei; die Musik ist atmosphärisch, jedoch sind die 13 Lieder meist deutlich kürzer als zwei Minuten.

Zusammen mit Flashback (1992) war Another World das bekannteste Spiel des französischen Herstellers Delphine Software, der 2004 dichtmachte. Während Flashback mit Fade to Back 1995 einen eher mäßigen Nachfolger in 3D bekam, gab es zu Another World 1994 mit unveränderter Technik Heart of the Alien (nur für Segas Mega-CD), in dessen Entwicklung Éric Chahi aber nicht mehr involviert war. Er arbeitete bereits mit seinem neuen Team Amazing Studio an Heart of Darkness, welches jedoch nach endlosen Verzögerungen erst 1998 erschien - und als 2D-Action-Adventure zu der Zeit nur noch wenig Anhänger fand. Es sollte Amazing Studios einziges Spiel bleiben und Chahis Ausstieg aus der Spielebranche markieren.

Another World ist ein schönes Spiel mit gelungener Atmosphäre, welches seine leider überraschend kurze Spielzeit durch einen hohen Schwierigkeitsgrad verdeckt. "Jetzt aber zurück zu Another Earth."

PS: Im Making-of-Video wird untertitelt: "Auch 'Another Earth' wurden nicht vergessen, es gibt sie noch und sie ist immer noch Teil der geheimnisvollen Aura dieses Klassikers." Bezieht sich das nur auf obigen Schlusssatz, in dem unsere Erde aus Sicht der anderen Welt als "Another Earth" bezeichnet wird, oder gibt es vielleicht geheime Abschnitte oder Easter Eggs?

Another World: 15th Anniversary Edition (PC)
Frogster/ElektroGames/Éric Chahi 2006 | MobyGames | OGDb
Programmierung, Grafiken und Originaldesign: Éric Chahi
Musik und Soundeffekte: Jean-François Freitas
Update: Kleinere Berichtigungen
Balkan Toni (Gast) am 2008-04-05 20:54

Entscheidung getroffen

Das trifft sich gut - ich wollte mir das Spiel kaufen (es wird gerade im MediaMarkt für 4,99€ verkauft), war mir aber nicht ganz sicher - dein Review hat mir jetzt bei der Entscheidung, es doch zu tun geholfen. "Another World" habe ich nie selbst gespielt, nur vor Erwigkeiten einem deutlich älteren Nachbarsjungen beim Spielen zugeschaut und der wollte mich damals nicht spielen lassen, der Arsch. Wird also Zeit, was nachzuholen.

HomiSite am 2008-04-06 00:32

Bei 5 Euro hätte ich auf jeden Fall blind zugeschlagen, bei 15 Euro wäre es sicher trotz des Bonusmaterials etwas viel. Habe gar nicht so viel über das Spiel selbst geschrieben, aber es lohnt sich schon - und nur um zu sehen, wie Anfang der 90er Hits aussahen.

Nun müsste ich auch mal "Flashback" selbst spielen, das hatten meine Kumpels damals gezockt. Der Nachfolger war auf jeden Fall Crap.
Balkan Toni (Gast) am 2008-04-06 13:04

"Flashback" habe ich bei einem Freund auf dem SNES gelegentlich gespielt und war damals begeistert. Meinst du mit dem Nachfolger "Fade to Black"? Das war bei meinem allerersten Soundblaster dabei - dem Soundblaster, der den Computer meines Vaters zerstört hat! (Geschichte dazu in meinem Artikel zum hivering Isles-Bug) - trotzdem war ich damals von "Fade to Black" ziemlich begeistert. Die späteren Spiele der Firma ("Time Commando" und so...) haben nicht so einen Eindruck hinterlassen...

HomiSite am 2008-04-06 14:43

Flashback haben wir auch auf dem SNES gespielt, ich aber nie aktiv.

Mit dem Nachfolger meine ich in der Tat "Fade to Back", wie im Artikel erwähnt. Als ich den damals anzockte, fand ich das Spiel ziemlich störrisch. Na ja, vielleicht habe ich es auch damals nur nicht kapiert :-).
Daniel (Gast) am 2008-11-09 16:54

Ja, ich habe das Spiel ebenfalls im Satur gekauft. Als ich das Cover sah habe ich es natürlich sofort erkannt und habe es natürlich direkt mitgenommen -egal was es kostet. Bezahlt habe ich 15 Eur. War mir die Sache aber auch wert. Damals spielte ich das Spiel auf dem Amiga, somit kannte ich sowohl die Schwierigkeit und die Kürze des Spiels. Egal! Super Game, tiefe Atmosphere und viel Nostalgie.

Flashback fand ich zwar gut, konnte aber mit Another World nicht mithalten. Irgendwie war es schon 'nur' ein run´n jump. Sicherlich waren viele Details anders und ich habe bei Flashback die Ballereien wie z.B. in Turrican o.Ä. nicht vermisst. Dazu kamen die Rätsel, die ich auch ganz gut fand, aber am Ende irgendwie (kann es nicht genau bestimmen) fand ich das Spiel nicht so doll.

Den Nachfolger jedoch fand ich sehr gut. Es war zum damaligen Zeitpunkt das erste seiner Art. 3rd-person-Ansicht, alles 3D. Das gab es damals noch nicht. Viele meinen, dass es Tomb Raider 1 gewesen sei, aber das stimmt nicht. Fade to Black hatte nur 'leider' eine gewöhnungsbedürftige Grafik. Es erschien fast comicartig. Was Fade to Black jedoch genauso machte, wie sein Vorgänger und Another World, war dass es teilweise viel zu schwer war. Trotzdem würde ich eine Portierung des Titels begrüßen und auch hier zugreifen -was ich, nebenbei gesagt, bei Flashback nicht täte.

Mich würde jetzt interessieren, ob man sich auch nach weiteren 15 Jahren an heutige Spiele so erinnert, wie an das Spiel von Herrn Chahi. Wird die heutige Zielgruppe 'Crysis', 'Halo' oder ..... nach Jahren sagen: 'Lass uns das Spiel noch mal spielen?' Die Gier nach 'echter muss es aussehen' wird hier wohl 'nein' zu dieser Frage wiedergeben und vielleicht ist genau das der Grund warum Antoher World hier punktet. Chahi sagt selbst, dass er das Spiel so ausgelegt hat, dass der Spieler Platz hat eine eigene Interpretation und ein eigenes Bild im Kopf des Ganzen zu entwickeln. Spiele von heute setze einem da alles vor -was hier keine Abwertung darstellen soll. Chahi machte aus der Not eine Tugend. Spiele von heute können und dürfen es nicht anders, da sie sonst nicht gekauft würden. Zudem kommt, dass 'fast jeder' mit Adobe Flash sein eigenes Spiel entwickeln kann, dass Antother World grafisch gesehen tief in den Schatten stellen könnte.

Schade und komisch, dass es sowas vielleicht nicht mehr geben wird. Dass man ein Spiel so gut fand, dass es viele Jahr danach abermals erweckt und von den damaligen Gamern wieder gespielt wird. Aber wenn ich so zurückdenke, dann gab es bereits früher Titel, an die ich mich heute nicht mehr erinnere, obgleich sie viel gespielt wurden. Vielleicht auch hier das ewige Spiel: Viel Grau, bis mal ein klitzekleiner Lichtstrahl einen kleinen Punkt erhellt. Es wird also Zeit!

HomiSite am 2008-11-10 15:38

"Mich würde jetzt interessieren, ob man sich auch nach weiteren 15 Jahren an heutige Spiele so erinnert"
Tja, das ist eine schwere Frage, wo viele Faktoren reinspielen. Speziell bei A.W. war wohl die technische Vorreiterstellung zusammen mit der künstlerischen Vision entscheidend. Ungefähr seit Dreamcast haben Spiele für mich im Grafikbereich ein Niveau erreicht, wo es schwer wird, Games mit Technikfokus lange als "Meilenstein" im Kopf zu behalten; heutzutage dürfte Technik allein (Crysis...?) nicht mehr ausreiche, um besonders im Gedächtnis zu bleiben.

Oft wird auch gesagt, dass es heute vielleicht nicht mehr Spiele (höhere Produktionskosten) als "damals", aber insg. mehr gute Titel gibt. So ist es für qualitativ herausragende Produkte sicher etwas schwerer aufzufallen.

Momentan sehe ich aber auch mit Xbox Live Arcade, PSN, WiiWare Möglichkeiten, wieder kleinere, vor allem spielerisch und künstlerisch überzeugende Spiele an den Mann zu bringen. Vielleicht ist der Grafikhype vorbei *achselzuck*.
Daniel (Gast) am 2008-11-10 21:18

Da muss ich Dir beipflichten. Es liegt sicherlich an den 'Kinderschuhen', die in der Spielebranche damals noch vorherrschten. Auch ist es heute gar nicht mehr so möglich ein Spiel im Alleingang an den Mann zu bringen.

Vielleicht komme ich, sofern dann noch präsent, nach 15 Jahren auf diese Seite zurück und ich frage dann mal nach einem Titel von heute, der möglicherweise auf 'Windows 2023 total ultimate doppel +' portiert wurde ;-)

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