Eine Chance [Update]

(Bevor jemand dieses Tagebuch liest, sollte er vielleicht zuerst alles selbst erleben!)

Heute ist es soweit! Sieben Jahre haben meine Kollegen und ich geschuftet, unsere Liebsten vernachlässigt und Freizeit geopfert. Doch es hat sich gelohnt: Unser Impfstoff wird die Welt vom Krebs erlösen! Heute werden wir ihn der Menschheit übergeben. Die Verteilung ist ebenso bahnbrechend - einfach über den Luftweg. Molly will mal wieder nicht zur Schule, Penny wünscht mir alles Gute für meinen großen Tag und ich fahre zur Arbeit. Ausgelassene Stimmung, Gratulationen, die Aktien unserer Firma steigen. Annie fängt mich vor dem Labor ab und fragt, ob wir nicht lieber feiern wollen. Das haben wir uns sicher verdient, also ziehen alle in unsere Stammbar!

Leicht verkatert wache ich auf. Penny sagt, dass heute morgen dauernd Telefon für mich war - vielleicht ein außerordentlicher Nobelpreis, hehe? Auf dem Weg zum Auto werfe ich ein Blick in die Zeitung. Ich schaue genauer hin. Lese den Artikel immer wieder. Da steht, dass unser Impfstoff nicht nur Krebszellen tötet, sondern alle. ALLE lebenden Zellen! Ich rase zur Arbeit, meine Kollegen stehen verunsichert herum, in ihren Blicken Angst, Fragen... auch Wut? Das Labor ist abgeschlossen und ich suche nach jemandem mit dem Schlüssel. Auf dem Dach treffe ich zufällig Matthew. Er sieht schrecklich aus, zittert und meint, dass alles noch viel schlimmer als gedacht sei. Dann springt er vor meinem Augen in die Tiefe...!

Beim Aufstehen fragt Penny, warum ich noch zur Arbeit wolle, es habe doch eh alles keinen Sinn mehr. Aber ich muss. Ich muss! Molly fragt, warum keine Schule ist... In den Straßen protestieren die Menschen, aber wogegen eigentlich?! Das Labor ist wieder verschlossen und kaum jemand da. Schließlich finden ich meinen Boss auf dem Dach. DEM Dach. Er werde nicht springen, versichert er mir, und schickt mich dann nach Hause zu meiner Familie. Doch ich besorge mir von Ryan den Laborschlüssel.

Penny und Molly schlafen noch. Die Zeitung schreibt von weltweiten Aufständen und dass morgen 50 Prozent der Weltbevölkerung tot sein werden. Plötzlich steht mein Boss und einige Kollegen vor mir. Sie seien da vielleicht einer Lösung auf der Spur - ich komme natürlich mit ihnen! Annie fängt mich mal wieder vor dem Labor ab und fragt verlegen, ob ich nicht einfach mit ihr hier abhauen möchte. Ich lasse sie stehen und arbeite bis spät in die Nacht. Zuhause trete ich vor dem Bad in eine Pfütze. Als ich die Tür öffne, sehe ich Penny. Sie hat sich in der Badewanne die Pulsadern durchgeschnitten.

Molly steht im Schlafzimmer und fragt, wo Mami sei. Ich nehme sie auf den Arm und fahre mit ihr zur Arbeit. Die Straßen sind fast menschenleer. Vor dem Labor liegt Bruce - und Annie in einer Blutlache! Fast ist hier passiert?! Ich halte Molly die Augen zu und stürme ins Labor.

Bin heute kaum aus dem Bett gekommen, ich fühle mich schwach. Ich nehme Molly und schleppe mich zum Auto. Die Zeitung war gestern schon nicht mehr erschienen. Straßen wie ausgestorben. Haha. Ich setze Molly im Foyer ab und gehe ins Labor. Die Leichen liegen immer noch auf dem Boden. Keine Zeit. Starre auf den Computer. Testergebnis wieder negativ. Ich setze mich erschöpft auf den Boden.
"One Chance is a game about choices and dealing with them." Bedrückend. Brilliant. Wenn man nicht die Flash-Cookies löscht, kann es nur ein einziges Mal gespielt werden. Denn: "In six days, every single living cell on Planet Earth will be dead. You have one chance." Ich habe das Spiel bisher dreimal durchgespielt; oben ist mein zweiter Durchlauf wiedergegeben. Beim ersten Mal habe ich nur am Anfangstag gearbeitet, bei der "dritten Chance" an jedem Tag.

One Chance wurde von AwkwardSilenceGames ("My game development career has just peaked. It's all cocain, hookers and dying on the toilet from here") entwickelt und erschien am 02.12.2010 auf Newgrounds; die "Author Comments" dort sollte man vor dem ersten Spielen nicht lesen (Steuerung ist simpel: Leer- und Pfeiltasten). Ein konzeptionell ähnliches Spiel ist Every day the same dream von Molleindustria.

Update: Rock, Paper, Shotgun, die schon am 07.12. über One Chance berichteten, haben ein Interview mit AwkwardSilenceGames (da wird übrigens das Spiel mit dem wohl verstörendsten Titel aller Zeiten genannt: Babies dream of dead worlds).

(Via @InsertDiskII)
Ben (Gast) am 2010-12-11 12:20

Ahrg

Ich war zu doof den ersten Satz zu verstehen und habe mich kolossal gespoilert… darum jetzt einfach noch mehr Spoiler:

Schöne Idee, aber ich habe leider das Gefühl dass der Autor zu früh mit der Umsetzung begonnen und sein Thema vorher nicht stark genug ausgearbeitet hat (dafür sprechen auch etliche Bugs wenn man mal etwas wildere Entscheidungskombinationen trifft). Es zielt doch alles zu stark auf das Finden des Heilmittels ab um mich völlig zu überzeugen… die Apokalypse wird zwar klug dargestellt, aber die persönlichen Bindungen zu Kind/Frau/Kollegen sind dagegen einfach zu wertlos. Die "one chance" wird dadurch nur hinsichtlich der Rettung der Menschheit bedeutsam… moralisch bleibt mir das darum zu schlicht, nicht weit weg vom tapferen Soldaten der sich nicht von Gefühlen und Spaß abhalten lässt, seine Aufgabe zu erfüllen.

Man hätte das "gute" Ende entweder abwerten müssen, Kind tot, Pilgrim tot, oder die anderen Enden aufwerten und sei es nur durch die Bladerunner-Fahrt in die Berge.

Andererseits… froh sein dass Leute überhaupt damit experimentieren, auch wenn es dann etwas prätentiös wird.

HomiSite am 2010-12-11 14:54

Sorry wegen des Spoilers! Hatte länger überlegt, wie ich eine entsprechende Warnung passend einbauen könnte. Und: Habe das Spiel mehrmals gespielt und nicht den, äh, "spektakulärsten" Durchlauf beschrieben. Und mit Spoilern in den Comments hab ich keine Probleme, werde ich jetzt auch machen.

Deiner Kritik stimme ich schon zu, aber es ist natürlich die Frage, wieviel man im Rahmen dieser kurzen Flashgames umsetzen kann, z.B. bezogen auf emotionalen Bindungen. Für mich hat es trotzdem funktioniert, die wenigen Sätze und Handlungen der Mitmenschen reichten, um den Lücken im Kopf zu füllen (ist eben der Vorteil von solchen archetypischen Figuren).

Viele konkrete Bugs sind mir nicht aufgefallen, aber ich habe auch nicht alle ("wilden") Kombinationen probiert. Besonders aufgefallen war mir nur, dass sich der Spieler IMO nur an einem Tag umbringen kann. Und dass er das Badezimmer nicht reinigt.

Das "One Chance" auf die Rettung der Menschheit abzielt, ist doch von vornherein klar, oder? (Schade, dass in der Spielbeschreibung etwas gespoilert wird, denn ich fand das schon krass: Erst der Text, dass bald alles Leben ausgelöscht sein wird und dann die Zeitungsmeldung, dass Krebs besiegt wurde.)
Geht es darum nicht: Zu wissen, was eigentlich "richtig for the greater good" ist, sich aber dagegen zu entscheiden? Ist natürlich schon etwas billig, weil immer moralisch unterlegen, auch wenn im Spiel z.B. der Boss zweimal Verständnis fürs Zuhausebleiben äußert.

Ist es beim "guten" Ende eigentlich klar, dass die Tochter überlebt? Ich konnte es nicht genau erkennen, sie könnte auch im Flur gestorben sein. Vielleicht ist sie auch im oben beschriebenen Durchlauf schon gestorben, Pilgrim nimmt sie nur einfach mit.

Na ja, kann natürlich auch sein, dass ich dem Spiel viel verzeihe und/oder Leerstellen einfach für mich fülle.

PS: Stirbt die Ehefrau immer? Und ich muss noch mal probieren, was passiert, wenn ich mich nicht wehre.

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