Call of Duty: Modern Warfare 3

Die spannendste Frage bezüglich der Call of Duty-Reihe dürfte lauten: Wie erfolgreich kann sie noch werden, wenn zuletzt jeder neue Titel bestehende Verkaufsrekorde überflügelte? Von Modern Warfare 3 wurden allein in den USA und UK über 6,5 Mio. Exemplare in den ersten 24 Stunden verkauft! Die Spiele sind also Selbstläufer, Tests daher kaum von Bedeutung. Bei MW3 lag die Sache jedoch zumindest ein wenig anders, denn im Streit mit Hersteller Activision verließ eine Menge bedeutender Leute das Entwicklerstudio Infinity Ward und es war nicht klar, inwiefern dies Auswirkungen auf die Qualität des Spieles haben würde. Die Wertungen der Spielemagazine waren schließlich wieder sehr gut bis astronomisch, beschrieben aber oft überwiegend die Einzelspielerkampagne; für einen ausführlichen Test der zentralen Multiplayermodi blieb kaum Zeit - Embargos sei Dank. Auch ich hatte mich übrigens bei den Vorgängern Modern Warfare 2 und Black Ops - zumindest hier im Blog - nur mit dem Singleplayer beschäftigt, der in der Reihe gewöhnlich nur eine Spielzeit von 5-6 Stunden in Anspruch nimmt. Und deswegen kauft wohl kaum jemand ein Call of Duty, dafür braucht es kein Review, welches vielleicht noch alle Schauplätze und Überraschungen vorwegnimmt. Spielerisch abwechslungsreiche und taktisch fordernde Shooter sind die CoD-Titel nämlich nicht, sie definieren sich über ein weitgehend konkurrenzloses Actiondauerspektakel.

Um es kurz zu machen: Es gibt in der Kampagne eine Menge Over-the-Top-Momente, die mir ein dümmliches Grinsen ins Gesicht zauberten, und mehr internationale Handlungsorte als jemals zuvor inklusive halbgar getroffenem Deutschland. Die Geschichte ist verständlicher als in MW2, aber reicht nicht an die von BO heran (was nicht viel bedeuten mag). Besonders zu Beginn des Spiels sind die Abschnitte leider teils sehr kurz, später werden sie ausführlicher, das Spiel fährt dann aber auch den Nonstopbombast etwas zurück. Die Interaktivität ist stark eingeschränkt, die Levels sind beengt wie eh und je und der Spieler wird an die ganz kurze Leine genommen: Oft wird einem auf mehrere Arten gesagt, was nun genau zu tun sei. Immerhin scheinen die Skripte nicht mehr ganz so unflexibel zu sein, zumindest ist ein Einsatz nicht sofort gescheitert, wenn man sich wie noch bei Black Ops mehr als eine Handvoll Meter vom Team entfernt. Spielerisch aber trotzdem insgesamt eher ernüchternd, besonders wenn man jüngst Titel wie Bulletstorm, Crysis 2, Gears of War 3 oder auch Space Marine gespielt hat. Aber der permantene Krawall unterhält, in meinem Fall für knapp fünfeinhalb Stunden auf dem obligatorischen zweiten von vier Schwierigkeitsgraden (Kollege Damnlord brauchte eine Stunde länger auf dem dritten); damit dürfte MW3 nochmals kürzer als die bereits erwähnten Vorgänger sein.

Es wäre falsch zu behaupten, CoD hätte keine Abnutzungserscheinungen in unserer Spielrunde, einige legten sich stattdessen Battlefield 3 zu (mit dem BF-"Gunplay" kam ich leider nie wirklich klar). Den spät erworbenen Klassiker Call of Duty 4 spielte ich persönlich über 290 Stunden im Multiplayer, Modern Warfare 2 dann über 360 Stunden! Bei Black Ops waren es "nur" noch 180 Stunden; ich kaufte mir auch keine Mappacks dafür. BO galt gemeinhin als "MW2.5", das schlussendlich leider am Matchmaking und vor allem der Hitdetection (also dem Lag) litt. Als CoD-Fan hatte ich daher viele Detailfragen bezüglich MW3 sowie ausgehend von CoD4 und MW2 die Erwartung, dass die Lags kein Problem sein würden. Derartige Angaben fanden sich jedoch in kaum einem Review, was wieder die Testproblematik von Online-Spielen ins Gedächntnis ruft. Im Schnitt schrieben die Magazine - wenn überhaupt -, dass sie 10-15 Stunden im Multiplayer gespielt hätten, was nur bedingt für eine tiefgehende Analyse ausreicht.

Eine derartige Auseinandersetzung will ich hier auch nicht wagen, zumal sicher/hoffentlich noch einiges gepatcht wird, aber es zeigt sich schon, dass MW3 durch die Personalprobleme gelitten hat. Es ist immer noch CoD und damit auch gut, aber abgesehen von grafischem Copy&Paste schlampt das Spiel in zwei Punkten: Online-Performance und Komfort. Infinity Ward mithilfe von Sledgehammer u.a. hat quasi keine der sinnvollen Verbesserungen von Treyarchs Black Ops übernommen, stattdessen aber das Lag! Das bedeutet nicht, dass MW3 keinerlei Neuerungen bietet, im Gegenteil. Wahrscheinlich aufgrund der Konkurrenz durch das taktischer ausgerichtete Battlefield 3 hat man ingesamt gelungen daran geschraubt, die Bedeutung von Kills abzuschwächen. Spieler, die tatsächlich das Ziel eines objektbasierten Spielmodus wie "Herrschaft" verfolgen, werden endlich stärker belohnt, weil jede Aktion Punkte bringt, die für die nun als "Pointstreaks" bekannten Abschussserien zählen - hurra! Die pro Klassenslot festlegbaren Streaks inkl. drei grundverschiedener Systeme (Angriff, Unterstützung, Spezialist) wurden überall ausführlich beschrieben, unerwähnter blieben die jetzt in freier Reihenfolge abrufbaren Abschussserien.

Warum Infinity Ward aber gerade trotz dieser Neuausrichtung die Anzahl eroberter Flaggenpunkten in der Matchtabelle sowie die je nach verursachtem Schaden dynamische Bewertung eines "Assist"-Kills nicht aus Black Ops übernahm, ist absolut unverständlich! Der bei letzterem eingeführte Kinomodus wurde stark abgespeckt und damit beinahe unbrauchbar; die Replays sollen außerdem seitens des jeweiligen Hosts aufgenommen werden, d.h. eigene Nachteile durch Lags sind dann nicht sichtbar. Und: Man kann die Aufzeichnung ausschalten - was ich getan habe, also wahrscheinlich keine 72 Clips meinerseits... Ich hatte vermutet, dass BOs Hitdetection-Probleme mit der Replay- und Statistikaufzeichnung zu tun hatten. Anstatt das zu beheben, baut Infinity Ward also einen umständlichen Ausschalter ein. Und der dann nicht einmal viel bewirkt! Gemeinhin ist das Lag nicht so auffällig, aber sobald man sich hinter eine Ecke rettet und trotzdem stirbt, weil in der Killcam des Gegners man auf wundersame Weise noch nicht in Deckung ist, steigt der Frust. Ein schöner Indikator sind auch die Schrotflinten: Ohne erkennbare Unterschiede bei Entfernung und Trefferzone reicht manchmal ein Schuss aus der Hüfte, ein anderes Mal müssen es drei gezielte Schrotladungen sein. Während es früher ziemlich egal war, ob drei oder vier Striche bei der eigenen Netzwerkqualität angezeigt werden, ist man nun mit dreien recht deutlich unterlegen.

Die ausufernden Statistiken eines Black Ops wurden größtenteils aus dem Spiel entfernt und in Activisions neues Call of Duty Elite ausgelagert. Das ist eine separate Anwendung, für die man das Spiel verlassen muss! Tolle Weiterentwicklung... nicht! Und seit dem Erscheinen des Spiels vor mehr als einer Woche funktionierte Elite lange Zeit überhaupt nicht! Das eher unintuitive Elite kann man auch jahresweise bezahlen, dann gibt es mehr Funktionen und auch wohl Kartenpakete umsonst; diese Premiumkunden bekamen wegen der Probleme immerhin schon 30 Tage extra (und haben bevorzugten Zugang zum Dienst), aber ich als normaler Käufer des Spiels konnte mein erworbenes Produkt auch nicht in vollem Umfang nutzen. Zumindest nicht so, wie ich es seit Black Ops kenne und erwarte!

Dem Trend des dynamischen Bewegens verweigert sich MW3 übrigens, der (unbeholfene) Hechtsprung aus BO fehlt. Immerhin scheint das Klettern nun etwas flüssiger zu klappen: Bisher war man darauf angewiesen, dass vor einem überwindbaren Hindernis eine Tasteneinblendung erschien, was oft wertvolle Zeit kostete; die Steinblöcke auf der MW2-Karte Quarry waren dahingehend die Hölle. Apropos Maps: Hier wollte Infinity Ward wohl alle Fliegen mit einer Klappe schlagen, denn die Karten sind insgesamt sehr weitläufig, grundsätzlich komplexer und verschachtelter als jemals zuvor, trotzdem liegen die Flaggenpunkte noch recht nah beieinander. Vielleicht soll Teamplay so gefördert werden, denn alleine wird man nun andauernd in den Rücken geschossen. Noch frustiger wird's durch das Spawn-System, das wohl für schnellere Action sorgen soll und gegnerische Spieler näher zueinander auftauchen lässt - mit der Folge von "Spawn, zwei Meter laufen, tot". Highlight heute: Ich erschieße jemanden, der dann tatsächlich einen Meter neben seiner Leiche und mitten in meinem Visier wiederbelebt wird! Dass man nun nochmals schneller stirbt als in den Vorgängern, tut das übrige.

Noch kurz erwähnen möchte ich das Matchmaking: Bei Black Ops konnte man die Suche nach Spielen in drei Stufen einschränken (weltweit, zuerst Region, nur Region), was gegen das inhärente Lag aber wenig half. Bei MW3 fehlt diese Option natürlich ganz und zuletzt gab es einen arg strikten Regionszwang. Beschriebene Lags kamen trotzdem vor, dafür habe ich niemals zuvor so viele bekloppte deutsche Gamertags gelesen. Immerhin scheint die Spieleraufteilung fairer zu sein, Spieler werden entsprechend der Matchergebnisse auch neu auf die Teams verteilt (das war bei BO irgendwie fast nie der Fall).

Bei Black Ops gab es bekanntlich ein Geldsystem, weshalb mit genügend Schotter auf einen Schlag alle gewünschten Waffenaufsätze freigeschaltet werden konnten. Diese Idee war sicher noch nicht ganz ausgereift, aber kam Gelegenheitsspielern zugute. Aber da in MW3 für die Hardcore-Fanboys auch Quickscoping und Hinlegen beim Schießen drin ist, wurde das Geld gestrichen. Nun heißt es wieder jede Waffe einzeln durch Gebrauch aufleveln - viel Spaß! Wie in Black Ops kann man recht umfangreiche eigene Spielmodi erstellen, die aber weiterhin nur privat sind. Und extravagante Kombinationen wie bspw. "Herrschaft" mit dem neuen, von Crysis 2 inspirierten "Abschuss bestätigt"-Prinzip (Kills zählen nur durch Einsammeln gegnerischer Erkennungsmarken - TDM wie es sein sollte) gehen nicht. Übrigens: Einige aus BO bekannte Modi gibt es bisher nicht bei den öffentlichen MW3-Spielen, aber bei den Privatmatches...

Jetzt habe ich ziemlich viel gemeckert, was darüber hinwegtäuscht, dass Modern Warfare 3 immer noch ein zweifellos gutes Spiel ist. Nur hat Infinity Ward nicht beachtet, dass die Spieler nicht MW2, sondern eben Black Ops zuletzt spielten - und dessen Neuerungen wurden weitestgehend übergangen (ich habe nicht alles beschrieben; zumindest wurde das Extra/Perk "Second Chance" gestrichen). Zeitmangel, Faulheit oder Ignoranz? Es wird sich zeigen, ob einiges noch gepatcht wird, ausgeprägte Post-Launch-Unterstützung wurde immerhin angekündigt. Die gab es auch bei Black Ops, am Lag wurde dort jedoch nichts verbessert. Und eine zentrale Anlaufstelle für Änderungen am Spiel ("Changelog") gibt es bisher nicht, man muss alles aus Twitter fischen. Na ja, um die 25 Stunden wurden trotzdem schon von mir investiert, hauptsächlich "Herrschaft" und "Abschuss bestätigt". Mal schauen, wieviel es noch werden wird...

PS: Im Abspann von MW3 werden übrigens die Mitarbeiter nur noch in einer endlosen Liste ausgeführt ohne Angaben, wer was getan hat...

PPS: Ganz interessant, wie mit dem Spielnamen umgegangen wird. Auf dem Packungsdeckel steht in ungefähr gleich großer Schrift "Call of Duty" und darunter "MW3", auf dem Packungsrücken "Call of Duty Modern Warfare 3" und im Xbox-Dashboard "Modern Warfare 3".
Ben (Gast) am 2011-11-20 21:50

Ich hab mir bei Black Ops ja nur den Singleplayer angetan (oh man war der schlecht… spielerisch und inhaltlich, aua, aua, aua) und bin jetzt erstmal (eher spontan) ins Battlefield Lager gewechselt.

Das fühlt sich zwar insgesamt nicht so rund an: Die Waffen sind nicht so "satt" wie in CoD, herbe Probleme was die Balance einiger Items angeht (ich sage nur Taclight und IR-Scope), keine vernünftige Möglichkeit die Flugzeuge zu lernen, unbrauchbare Menüführung und und und. Dafür fehlt viel von dem was mich an CoD gestört hat. Weniger Camper, weniger Instant-Deaths, weniger Tempo, weniger Sniper, weniger Nahkampfgenerve. Zerstörbares Terrain ist übrigens wirklich toll!

Die PC-Spieler jammern zwar über alles mögliche, aber ich finde dass die Konsolenfixierung Battlefield ganz gut getan hat. Kleinere Maps, mehr Chokepoints, mehr Action, weniger Dominanz von Flugzeugen… alles flutsch irgendwie angenehmer als ich das von vorherigen Battlefield-Ausflügen in Erinnerung habe.

HomiSite am 2011-11-20 22:54

Ja, rein spielmechanisch sind die CoDs besonders im Vergleich zu anderen Action/Shooter-Spielen echt ziemlich armselig! Dahingehend sind die hohen Wertungen kaum verständlich - und für reine Multiplayertests wird dann wie oben angerissen viel zu sehr auf dem Singleplayer herumgeritten.

Meine Krux ist ja: Ich bin eher taktischer Spieler - fast nur Herrschaft in CoD und ich liebe Games wie Section 8. Aber bei all meinen Versuchen mit BF (Bad Company 2, BF 1943 und die BF3-Beta) fühlten sich die Waffen nicht nur "nicht so 'satt'", sondern für mich schwer einschätzbar/nachvollziehbar an. Und ein Shooter, wo ich mit den Waffen nicht klarkomme, kann leider beim Drumherum noch so gut sein...
Ben (Gast) am 2011-11-22 14:46

Hmm, so große Probleme habe ich mit den Waffen nicht. Aber ich mochte auch das 1943er Gunplay, das Rifle war fantastisch!

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