Die Brücke/Bron/Broen



Die Handkamera nah in seinem Rücken, die Musik dröhnt und er bahnt sich gehetzt seinen Weg durch den Club. So inszenierte Nicolas Winding Refn vor 15 Jahren Kim Bodnia in Pusher. Eine ähnliche Einstellung gibt es in der Krimiserie Die Brücke, in der Bodnia als dänischer Polizist nun auf der anderen Seite des Gesetzes steht. Eine schöne Hommage für den inzwischen grau meliertem Schauspieler mit Bauchansatz.

Bodnia wird als gemütlicher Kommissar Martin Rohde, der auch mal Fünfe gerade sein lässt, zu einem nächtlichen Leichenfund auf die Öresundbrücke gerufen. Weil die Tote genau auf der Grenze zwischen Dänemark und Schweden liegt, werden die Ermittlungen gemeinschaftlich aufgenommen. Ihm zur Seite steht die schwedische Polizistin Saga Norén, die mit Porsche, enger Lederhose und Vorschriftentreue eine Herausforderung für Martin Rohde darstellen wird - insbesondere wegen ihrer soziopathischen Züge: Norén hat deutliche Defizite in Einfühlungsvermögen und Sozialverhalten, gleicht dies aber durch kriminalistische Brillanz aus. In der Serie nicht weiter ausgeführt wird, woran Norén genau leidet, aber sie erinnert an eine Mischung aus Dr. House und Monk, glücklicherweise nicht ganz so übertrieben wie letzterer. Dargestellt wird Saga Norén überzeugend von der blonden (of course) Sofia Helin, deren Gesicht von Narben aufgrund eines Fahrradunfalls geziert wird.

Das ungleiche Ermittlerpaar sorgt vor allem zu Serienbeginn für humorvolle Situationen und wird durch die Ereignisse natürlich zusammengeschweißt. Etwas unglaubwürdig ist jedoch, dass Rohde immer wieder Norén soziale Basics zu erklären hat, auf die sie in ihrer Vergangenheit sicher längst hätte aufmerksam gemacht werden müssen. Dem Unterhaltungswert tut dies aber keinen Abbruch (Norén smalltalkt: "Ich habe seit gestern meine Periode").

Der unbekannte Täter wendet sich alsbald über einen skrupellosen Journalisten an die Öffentlichkeit. Auf fünf gesellschaftliche Missstände möchte er aufmerksam machen, es wird also noch weitere Verbrechen geben. Diese werden dann perfekt ausgeführt und fordern dem binationalen Polizistenteam alles ab. Leider werden die einzelnen Taten gerade dann schneller abgehandelt, als sie zu moralischen Herausforderungen werden und der Täter die Gesellschaft miteinbezieht. Strukturell erinnert Die Brücke an Sieben, wo ebenfalls zwei Polizisten einen genialen Schurken auf einem persönlichen Kreuzzug jagten.

Es herrscht zwar kein düsterer Dauerregen wie in David Finchers Todsündenfilm, aber Kopenhagen und Malmö werden in ausgewaschenen Bildern gezeigt. Der Tag ist in fahles Licht getaucht oder wird von einer tief am Horizont hängenden Sonne erhellt. Wenige Menschen sind unterwegs, nur der Straßenverkehr pulsiert vor Leben, besonders im Kunstlicht einer nachts hell erleuchteten Großstadt. Für die Ermittler wird die Nacht oft zum Tag und Rohde fortwährend zu unmöglichsten Zeiten von Norén, die kaum zu schlafen scheint, aus dem Bett geklingelt. Überhaupt sind den Protagonisten normale Tagesabläufe kaum gegönnt, was sich auch aufs Beziehungs- und Familienleben erweitern lässt.

Der Verlauf des Kriminalfalls kann leider nicht ganz mit den interessanten und markanten Figuren sowie der Inszenierung mithalten. Ob dies ein inhärentes Problem des "Scandinavian Crime"-Subgenres ist, vermag ich mangels Erfahrung nicht zu sagen, aber auf einige klischierte Wendungen und Konstruktionen muss der Zuschauer sich einstellen; Dramaturgie und Logik sind aber meist passend. Koproduzent ZDF strahlte die zehnteilige Serie als fünf Spielfilme aus, was inhaltlich durchaus sinnig ist. Die Zweisprachigkeit des Originals ging natürlich verloren (ich wüsste gerne, ob eher dänisch oder schwedisch gesprochen wird).

Meine Begeisterung nach dem Serienauftakt konnte Die Brücke leider nicht über die ganze Staffel hinweg aufrecht erhalten. Es werden manche Klischees verarbeitet, was bei den Figuren noch weitgehend gut funktioniert, aber bei der Handlung dann stellenweise negativ auffällt. Kritik an der modernen, entfremdeten Gesellschaft ist unübersehbar, bleibt schlussendlich jedoch Beiwerk. Trotz allem bin ich auf die zweite Staffel mit dem sympathischen Ermittlerduo Martin Rohde und Saga Norén gespannt, welche 2013 erscheinen soll.

Die Brücke - Transit in den Tod (Bron/Broen) | DK/S 2011+ | Created by Hans Rosenfeldt | Darsteller: Sofia Helin, Kim Bodnia, Dag Malmberg, Christian Hillborg, Magnus Krepper u.a.
msb (Gast) am 2012-06-18 09:22

Zu der Frage der Zweisprachigkeit

Die Schauspieler sprechen - soweit ich das beurteilen kann - in ihrer jeweiligen Landessprache, die untereinander kompatibel genug ist, um von der Gegenseite verstanden zu werden. Unabhängig, auf welcher Seite der Brücke sie sich aufhalten.

Die nordische DVD Ausgabe hat Untertitel in Dänisch, Schwedisch und Englisch und ist so auch für Zuschauer mit brauchbaren Englischkenntnissen nutzbar...

HomiSite am 2012-06-18 12:40

Diese Art der Zweisprachigkeit wäre ja ziemlich einzigartig und cool, oder? Ob's bei der Ausstrahlung in den skandinavischen Ländern dann auch ohne jeweilige Untertitel lief, weil einfach jeder Däne/Schwede Schwedisch/Dänisch verstehen kann? Auf alle Fälle eine wohl unmögliche Situation für die dt. Synchro, das adäquat abzubilden.

Da ich die Serie wie beschrieben zwar gut, aber nicht herausragend fand, werde ich auf die Anschaffung der DVD-Ausgabe verzichten.

PS: Falls du dich in den skandinavischen Krimis auskennst: Was ist denn da qualitativ das beste der vielen Serien/Miniserien/Spielfilmreihen?

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