Glotzen

Dienstag, 18. Oktober 2011

Steven Spielberg vs. Science Fiction

Die beiden großen TV-Neustarts 2011 des - abgesehen von Vampiren oder ähnlichem - eher darbenden Phantastikgenres waren Falling Skies und Terra Nova. Bei beiden Serien fungiert neben einem Heer weiterer Produzenten Steven Spielberg als Executive Producer. Ich weiß nicht, wie sehr er im Tagesgeschäft involviert ist, aber sein Name ist das Aushängeschild. Und deswegen mache ich ihn dafür verantwortlich, dass sowohl Falling Skies als auch Terra Nova ziemliche Enttäuschungen sind.

Mir scheint, der berühmte Regisseur ist mit den Jahren nicht nur altersmilde, sondern auch zahnlos geworden. Durch Funkgeräte ersetzte Pistolen bei E.T. sind da nur ein Indiz. Die beiden erwähnten Serien hatten interessante Konzepte: Falling Skies spielt nach der Besetzung der Erde durch Aliens und handelt von einer Widerstandszelle. Bei Terra Nova ist unser Planet am Ende, weswegen der Menschheit ein Neustart ermöglicht werden soll, 85 Millionen Jahre in der Vergangenheit. Und dann kam Spielberg an Bord und empfahl: "Wir brauchen mehr emotionale Ankerpunte für den Mainstream - wir bauen jeweils eine zentrale Familie ein!" Die Schöpfer der beiden Serien dachten sich daraufhin: "Das ist doch total dumm, 08/15-Drama, nervige Kinder, Überväter." Aber so etwas sagt man offenbar keiner Regielegende und deshalb wurden aus zwei vielversprechenden Science-Fiction-Shows verkappte Familienserien, garniert mit Klischees und altbekannten Plots.

Vielleicht war es nicht so, aber die Familien- und Spielbergparallelen sind leider ebenso unübersehbar wie die Mittelmäßigkeit der beiden Serien.

Donnerstag, 22. September 2011

Movie Tweets

Dark Remains = klischeehafter, einfallsloser und öder Wannabe-Horrorfilm.

King of the Hill (2007): Anfixender Beginn, aber schöne Landschaft + dumme Protagonisten erschweren das Mitfiebern, als es gefährlich wird.

Lake Mungo (2008): Statische und (zu) handlungsarme Fake-Doku über Trauer, Familiengeheimnisse, Fotos, Wahrnehmung und Geister.

Martyrs (2008): Selbst mit unvorteilhafter größerer Gruppe phasenweise keine entlastenden Zwischenrufe. Must-See! Diese Franzosen...

Handlung + Titel des staubtrockenen Mystery-Kriegsfilms Operation Desert (2008) ergeben wenig Sinn. Lakonisch, hypnotisch oder langweilig?

Rubber = Abgedreht ("no reason"), im Kern recht konventionell.

Wozu ein an sich gelungener Spannungsaufbau, wenn der durch die Eingangsszene bereits vorab untergraben wird?! Salvage (2009), solide.

The Keep (1983): Nazis, Nebel, Gegenlicht. Gabriel Byrne als Major Kaempffer (!), Ian McKellen overactet. Tangerine Dream. Dämonen. Wirr.

The Tree of Life: Malick wagt sich an die ganz großen Fragen und kommt durch Selbstzweck-Symbolismus etwas vom Weg ab. Deshalb sehenswert.

Trollhunter (2010): Found-Footage-Film, Norwegen-Niemandsland, tolle Trolle. Der Mittelteil nach überraschendem Tonfallwechsel ist famos!

Valhalla Rising (2009): Mads Mikkelsen, einäugig, stumm. Krieger, Christen, Kreuzzug. Wikinger, Wallfahrt, Wahnsinn. Pushende Bildgewalt.

Donnerstag, 15. September 2011

Parasiten-Mörder

«Ich hatte einen sehr beunruhigenden Traum letzte Nacht. Ich träumte, dass ich mit einem sehr seltsamen Mann Sex habe. Dieser Mann macht mir ganz schön zu schaffen, weil... er fast tot ist. Er ist alt. Und ich finde ihn richtig abstoßend, weil er so ekelhaft stinkt. Aber dann erzählt er mir, dass... alles erotisch ist. Alles mit Sex zu tun hat. Verstehst du, was ich meine? Er erklärt mir, dass sogar altes Fleisch erotisches Fleisch ist. Dass eine Krankheit nichts anderes ist als die Liebe zweier fremder Organismen zueinander. Dass sogar der Tod in irgendeiner Art Erotik bedeutet. Dass Reden... Sex ist. Dass selbst das Atmen Sex ist. Dass jede physische Existenz eine Form von Sex darstellt. Und ich glaube ihm... und wir machen Liebe miteinander und es ist wunderschön.»
Parasiten-Mörder | Shivers
CDN 1975 | IMDb | OFDb
Regie: David Cronenberg
Buch: David Cronenberg
Darsteller: Paul Hampton, Joe Silver, Lynn Lowry, Allan Kolman, Susan Petrie, Barbara Steele, Ronald Mlodzik, Barry Baldaro u.a.

Mittwoch, 17. August 2011

Krieg der Dämonen (Kinderfilm?)

Takashi Miike hat innerhalb von 20 Jahren bei über 80 Filmen Regie geführt und sich dabei munter durch alle Genres gewühlt. Hierzulande wurde er durch extremere Werke um die Jahrtausendwende wie Dead or Alive (nein, nicht die Videospieladaption) oder Audition bekannt; letzterer ist einer der verstörendsten Filme, den ich je im Fernsehen sah. Und dieser Mann drehte 2005 einen Kinderfilm, welcher erst Anfang des Jahres seine Free-TV-Premiere feierte.

Wobei: Ein Kinderfilm, der bei uns ab 16 Jahren freigegeben ist? Protagonist Tadashi ist die einzig relevante Kinderrolle und steht zu Beginn des Films nicht gut da: Er albträumt von der Zerstörung Tokios, seine Eltern sind seit einem halben Jahr geschieden, er zog von der Stadt aufs Land und lebt nun bei seiner Mutter und dem dementen Großvater. Seine Schwester und seinen Vater sieht er kaum, die Mitschüler hänseln ihn. Japanische Filme machen ungern halbe Sachen.

Wie passend, dass er zum "Ritter des Kirin" gemacht wird. Der soll die Menschheit beschützen, was an sich eher symbolisch zu verstehen wäre, wenn der dämonische Lord Kato - schicke Pentagramme auf dem Kragen seines SS-artiges Anzugs - nicht einen mächtigen Rachegeist eingefangen hätte, um sich zu... rächen! An uns Menschen, also Obacht. Die Ankunft des Bösen wird auch kinderfreundlich vermittelt: Ein degeneriertes Kalb mit verschrumpeltem Menschenkopf klagt über einen schrecklichen Krieg und vergießt schwarze Tränen. Der Film läuft da gerade einmal drei Minuten. Und nach zwei weiteren gibt es die erste Panties- und Cleavage-Ansicht von Katos süßer Handlangerin Agi. Es wundert mich schon etwas, dass Krieg der Dämonen in den USA ein PG-13-Rating erhalten hat, denn später leckt die attraktive Geisterdamenwelt keck das Gesicht Tadashis oder hält ihn leicht bekleidet in ihren Armen, seine Hand auf ihrem nackten Oberschenkel. Knusper Knusper Knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?

Noch ist Tadashi aber ein zögerlicher Feigling, während Kato mehr oder weniger freundliche Geisterwesen einfangen und sie dann mit dem Schrott der Menschen zu Dämonenrobotern verschmelzen lässt. Und wenn sich die eingekerkerten Gespenster nicht benehmen, wird ihnen eben Säure in die Augen gespuckt oder der Arm abgeschlagen! Agi, white bitch on the loose. Tadashi hat derweil dann doch seinen Mut bewiesen, eine kleine Schar von übernatürlichen Unterstützern gefunden und ein magisches Schwert erhalten. Bis es zum Endkampf kommt, geschehen aber noch ein paar Irrungen und Wirrungen. Beispielsweise so kinderfreundliche Szenen wie diese: Tadashis knuffiges Geistertierchen wird von einem Roboter gewürgt, worauf es den Metallschurken anpinkelt. Ein Kurzschluss ist die Folge, was Agi nicht gutheißt und dem Fellknäuel sprichwörtlich die Schnauze poliert, bis diese blutet. Später schießt ein Polizist beim Angriff der Dämonen aus Versehen einem anderen Menschen in den Kopf.

Schließlich wird Kato - natürlich - aufgehalten, die Menschheit gerettet. Aber nicht ohne Verluste und wahrscheinlich nur vorübergehend. Der Zuschauer hat dann einige klare Botschaften zu Umweltschutz und Krieg an den Kopf geschmissen bekommen sowie ein "typisch asiatisches", nicht immer völlig nachvollziehbares Wechselbad der Gefühle erlebt: Von Grusel bis zu explizitem Horror, von Familienleben bis zu albernen Geistertreffen, von traurigen Momenten über dezente Erotik bis zu ausgelassener Erleichterung. Nebenbei dürfte sich mancher über die Inszenierung des Ganzen wundern: Die Geister und Dämonen stammen in stark schwankender Qualität aus dem Computer, werden aber auch von Schauspielern in handwerklich ebenso stark schwankenden Masken und Kostümen verkörpert - phantasievoll sind sie jedoch immer. Tricktechnisch liegen die 90er mit Power Rangers & Co. nicht weit weg. Dies ist sicher aber auch Teil des Charmes dieser zweistündigen Adoleszenzgeschichte, die streckenweise etwas träge erzählt wird und den Kinderfiguren schrecklicke Synchronsprecher verpasst. Trotzdem eine skurrile Seherfahrung, eine Art abgedrehtere und düstere Realfassung von Chihiros Reise ins Zauberland zuzüglich Artussage und anderer Fantasy-Zutaten. Anschauen!

Spoiler: Das Ende

Der angekündigte Endkampf findet übrigens gar nicht statt: Agi, die Kato aus tiefer Liebe folgt, wird von ihm getötet, denn "die Liebe, die du für mich empfindest [...], ist im Weg". Danach entzieht er sich der Entscheidungsschlacht, um selbst mithilfe des Rachegeistes irgendwie zu mutieren. Doch eine einzelne Erbse (!) gelangt zufällig in die Kammer und alles explodiert. Tokio ist tatsächlich verwüstet, Tadashi erwacht auf der Straße und erzählt einem Mann eine Lüge.
«Wenn man es für sich selbst tut, ist es eine rote Lüge. Aber wenn man für einen anderen lügt, ist es eine schneeweiße Lüge. Ich glaube, dass ist ein Zeichen dafür, dass man erwachsen wird.»
Wenn man erwachsen wird, verliert man auch die Gabe, Geister zu sehen (außer man betrinkt sich). Es folgt ein Zeitsprung, Tadashi ist ein junger Mann, sein Großvater mittlerweile verstorben. Während er das Haus verlässt, streunt sein Geistertierchen um ihn herum, doch er kann es trotz dessen herzerweichender Laute nicht mehr wahrnehmen. Tadashi fährt weg und als das Tier aufsieht, steht dort Kato...

Krieg der Dämonen - The Great Yokai War | Yôkai daisensô
J 2005 | IMDb | OFDb
Regie: Takashi Miike
Buch: Takashi Miike, Mitsuhiko Sawamura, Takehiko Itakura
Darsteller: Ryuunosuke Kamiki, Hiroyuki Miyasako, Chiaki Kuriyama, Masaomi Kondô, Sadao Abe, Mai Takahashi, Etsushi Toyokawa u.a.

Mittwoch, 20. Juli 2011

The Shield (Farm der Tiere) [Update II]

Die US-Polizeiserie The Shield trägt in Deutschland den Zusatz "Gesetz der Gewalt" und dies umschreibt die Handlung treffend: Gewalt führt zu mehr Gewalt und kann kein Ausweg sein. Für die "Strike Team"-Sondereinheit des Stadtteils Farmington (Farm genannt) in Los Angeles gehört hartes und unkonventionelles Vorgehen gegen Gang- und Drogenkriminalität zum Alltag, dabei wird regelmäßig geltendes Recht gebeugt und gebrochen. Dies ist auch dem politisch ambitionierten Captain der Polizeiwache bekannt, weswegen er ein fünftes Mitglied ins Team brachte, welches nun die illegalen Machenschaften der eingeschworenen Truppe aus Vic Mackey, Shane Vendrell, Curtis Lemansky und Ronnie Gardocki aufdecken soll...

The Shield versucht ein realistisch wirkendes Bild des Polizei-, Bezirks- und Gangalltags zu zeichnen. Dramatisierende Musik ist selten, Handkameras kommen zum Einsatz. Oft geraten nur kurz kleine Gesten in die Bildmitte, die Kamera schwenkt weiter, zoomt heran, fokussiert neu, harte Schnitte leiten Szenenwechsel ein - wie ein Augenzeugenvideo.

Jede Episode behandelt mehrere Kriminalfälle mit Festnahmen und Schießereien auf der Straße, Beinarbeit der Ermittler und Verhören auf der Wache. Gleichzeitig nimmt der Werdegang des Strike Teams und ihr Kampf gegen Verbrecher als auch misstrauische Vorgesetzte mehr und mehr Platz ein. Immer wieder treten bekannte Nebenfiguren auf, das Privatleben einiger Polizisten wird beleuchtet, ohne weitere Erklärung werden zurückliegende Ereignisse erwähnt und erschütternde Vorfälle wie Kindesmord nüchtern ohne Sensationsgier verarbeitet. So entfaltet The Shield eine einnehmende Sogwirkung und verzahnt abgeschlossene "Fälle der Woche" mit einem komplexen, episodenübergreifenden Handlungsbogen. Das sich über mehrere Staffeln entwickelnde Ende der Serie ist herausragend und stellt in seiner Konsequenz den Maßstab für bspw. Dexter dar. Wer trotz meiner uneingeschränkten Empfehlung die 88 Episoden nicht genießen möchte oder sie schon kennt, findet im Anschluss eine Inhaltsangabe der Haupthandlung und schließlich eine Auseinandersetzung mit dem Serienende.

Spirale der Gewalt

Die ersten Staffeln zeigen sowohl das Vorgehen des Strike Teams unter den stets misstrauischen Augen der Vorgesetzten als auch die Arbeit einiger ihrer Revierskollegen. Bereits am Ende der Pilotfolge erschießen Mackey und Vendrell den vom Captain eingeschleusten Spitzel vorsätzlich. Dessen Tötung wird noch nicht als alles betreffender Konflikt behandelt, vielmehr herrscht weitgehend gute Laune, weil Mackey & Co. wie ein härteres A-Team auftreten und handeln: Unverfroren durch die Mitte und erfolgreich. Dass Mackey auch seine Ehefrau Corrine, die er weiterhin liebt, regelmäßig betrügt, tut der Sympathie keinen Abbruch. Am Ende der zweiten Staffel raubt das Team schließlich einige Mafiamillionen. Dies ist der Wendepunkt: Sie hätten jetzt alle ausgesorgt, wenn sie das Geld durchbringen. Daran werden in der dritten Staffel die Energien des Strike Teams gebunden, es geht nicht mehr um Rechtsbeugungen und Korruptheiten im Alltag, sondern um die Ablenkung von Mafia und Polizei. Der Druck steigt, schlussendlich zerbricht Lemansky daran und verbrennt eigenmächtig den Großteils des Geldes. Doch dies führt nicht zu einem "Reset" innerhalb der Gruppe, das Vertrauen untereinander ist nun beschädigt und das Team löst sich auf.

In Staffel 4 wird ein neuer Captain eingesetzt und Shane Vendrell rutscht im Sittendezernat ohne Fangnetz seines ehemaligen Teams tiefer in illegale Tätigkeiten, während es Lemansky in seiner neuen Abteilung besser zu gehen scheint. Vendrell gerät schließlich unter die Knute eines Gangsterbosses und soll Mackey umbringen. Er steht im rechten Augenblick zu seinem Freund und das Team findet wieder zusammen, obschon das Vertrauen durch Vendrell weiter erodiert wurde.

Staffel 5 führt neben zwei neuen Captains einen Beamten der Dienstaufsicht ein, der sich im Revier einquartiert und das Strike Team unter die Lupe nimmt. Das Katz-und-Maus-Spiel mit den Vorgesetzten wird ernst, schließlich wird Lemansky wegen eines Drogendelikts verhaftet. Jetzt bricht das in den letzten beiden Staffeln aufgebaute Misstrauen in der Gruppe wieder aus - wird Lemansky all die Untaten des Teams gestehen, um sich zu retten? Vendrell entscheidet sich am Ende für seine junge Familie und tötet ihn ohne das Wissen der Anderen mit einer Handgranate.

Die letzten beiden Staffeln zeigen nun den Niedergang des Teams. Der labile Dienstaufsichtsbeamte wird von der verbliebenen Gruppe ausmanövriert und landet selbst im Knast, aber all die Verdachtsmomente gegen das Strike Team stehen nun offen im Raum. Mackey und Gardocki suchen den Mörder von Lemansky, während Vendrell mit seiner Schuld und gleichzeitig der Vertuschung zurechtkommen muss. Als Vendrells Tat den beiden anderen Teammitgliedern bekannt wird, bringt es Mackey nicht wie geplant übers Herz, ihn zu töten. Ein gefährliches Gleichgewicht herrscht nun zwischen ihnen, während Vendrell wieder in den Verbrechenssumpf abgleitet. Ein daraufhin initiiertes Mordkomplott von Mackey und Gardocki gegen Vendrell scheitert und eskaliert endgültig das Verhältnis zwischen ihnen. Vendrells eigener Attentatsversuch gegen die beiden misslingt ebenfalls, lässt ihn aber plötzlich als Verbrecher dastehen. Er flieht mit seiner Familie, Mackey und Gardocki jagen ihn auf eigene Faust, um zu verhindern, dass Vendrell sie mit einem Geständnis ins Gefängnis bringt.

Um seine Karriere zu retten - er soll in den Ruhestand abgeschoben werden -, beginnt Mackey ein waghalsiges Spiel mit Regierungsbehörden und Drogenkartellen. Er bekommt einen neuen Job und Straffreiheit, kann dies jedoch gegen dessen Wissen nicht für Gardocki erreichen. Vendrell sieht aufgrund von Mackeys Immunität keinen Ausweg mehr und bringt seine Familie und sich um. Gardocki wird wegen der Taten des Strike Teams verhaftet, alle Kollegen wenden sich von Mackey ab und er muss erkennen, dass er auch seine Frau längst verloren hat: Sie arbeitet mit der Polizei zusammen und taucht mit den Kindern im Zeugenschutzprogramm aus Angst vor ihm unter. Vic Mackey wird schließlich in ein Großraumbüro versetzt - er ist von der Straße runter, wie es alle seinen Gegenspieler immer wollten.

Ende der Gewalt

The Shield ist zu Beginn eine durchaus gängige Polizeiserie über "unkonventionelle" Cops - obige Inhaltsangabe ist nur äußerst grob und ließ unzählige Handlungsstränge und Hauptfiguren aus -, wandelt sich aber zu einem Abstieg ins Herz der Dunkelheit. Es dürfte kein Zufall sein, dass die letzten drei Staffeln, die als ein episches Finale angesehen werden müssen, in die Spätphase des goldenen Serienzeitalters fielen.

Das Strike Team verhaftete unzählige Verbrecher und löste Fälle, die niemand anders hätte abschließen können. Doch verbrannte es dabei wie eine Supernova, verzehrte Gesetzbücher und nur wer sich rechtzeitig von der Gruppe lösen konnte oder ihr nie zu nahe kam, blieb unversehrt. Nichts konnte dem Team etwas anhaben, einzig die Selbstzerstörung vermochte dies.

Vic Mackey als Anführer des Strike Teams ist kein böser oder schlechter Mensch, er ist liebender Familienvater und leidenschaftlicher Verbrechensbekämpfer - ganz klar ein sympathischer Protagonist. Shane Vendrell als sein Mittäter im initialen Polizistenmord wird mehrmals zum Gegenspieler und wandelt auf schmalem Grat. Als schließlich der innere Zusammenhalt und das Gleichgewicht des Teams in Trümmern liegt, stürzt er ab und findet paradoxerweise erst als gesuchter Verbrecher seelischen Frieden in seiner Familie. Mackey ist zu diesem Zeitpunkt die Spinne in einem Netz, dessen Ausmaße er selbst nicht mehr erkennen kann. Seine Ehe ist bereits lange zerbrochen und er scheitert als "Schild", seine Familie vor seinen eigenen Machenschaften abzuschirmen.

Gerade das Familienwohl ist bis zuletzt Antrieb seines Handelns, aber gerade das treibt seine Frau von ihm fort - die frühe Scheidung ist erst der Anfang - und vernichtet das Team. Vic Mackey darf nicht ungeschoren davonkommen und dieser Verlust der Zuschauersympathie ist neben der Konsequenz des Niedergangs das Heraussragende an The Shield. Als er seine Straffreiheitspapiere unterzeichnet, hofft man vergeblich auf eine überraschende Wendung: Die Polizisten, die ihm jahrelang auf die Finger schauten, kommen zu spät. Als Mackey nach langem, unsicherem Zögern anfängt, alle seine Verbrechen gemäß der Immunitätsvereinbarung endlich und erstmalig jemandem zu offenbaren, ist das ungläubige Entsetzen der Zuhörer großes Kino. Er hat sie alle getäuscht, das Strike Team war noch viel schlimmer als befürchtet; sein weiblicher Polizeicaptain - aufrichtig und moralisch bis zur Schmerzgrenze - erleidet einen Zusammenbruch. In dieser langen Gesprächssequenz, in der Mackey den Bundesagenten seine Vergehen schildert, wird auch dem Zuschauer vor Augen geführt, mit welchen Menschen man all die Zeit mitgefiebert hat. Die Welt ist schlecht und irgendwer musste so handeln, mag ein Einwand sein, aber die Arroganz und Kaltschnäuzigkeit, mit der Mackey hier auftritt, führt zum Verlust jeglicher verbliebener Sympathie.

"Sie haben Ronnie Gardocki damit genug Scheiße angehängt, um ihn lebenslänglich wegzusperren", sagt die Bundesagentin schließlich, die sich für Mackey einsetzte und ihm den Deal besorgte. "Ja... aber zumindest ist Corinne aus allem raus", erwidert dieser, ohne zu wissen, dass seine Frau gegen ihn mit der Polizei zusammenarbeitet. "Sie sind ein kranker, perverser Mann", meint die Agentin zähneknirschend. "Sonst noch was?" ist Mackeys Antwort. Beim Rausgehen fragt sie ihn dann hilflos: "Haben Sie eine Vorstellung davon, was Sie mir angetan haben?" Hart und doch wahrheitsgemäß erwidert er: "Hab schon schlimmeres getan."

Der bemitleidenswerte Shane Vendrell ist zu diesem Zeitpunkt noch auf der Flucht. Nach dem Mord am Spitzel zu Serienbeginn war er angeschlagen, doch Mackey härtete ihn ab. Auch am Tod Lemanskys durch Vendrell ist Mackey nicht völlig unschuldig. Ronnie Gardocki, Mackey blind folgend und doch von ihm getrieben, wird am Ende ebenfalls ein Mörder sein und die Rechnung für alle(s) kassieren. Bedingungslose Treue einer Gruppe ist gefährlich, wenn der Anführer in die falsche Richtung stürmt. Die Fahrt in den Abgrund ist so schnell geworden, dass Bremsen oder Abspringen nicht mehr möglich ist. Gegenseitig peitschen sich die letzten Mitglieder zum Weitermachen, wenn einer aussteigen möchte, und damit ins Verderben. Die Spielkarten mit dem Aufdruck "Strike Team was here!", die als Gruß an Gangster verteilt wurden, sind ein Zeichen: Zu hoch gepokert gehört das Team nun der Vergangenheit an.

Im letzten Gespräch zwischen Mackey und Vendrell - nur noch per Telefon - erfährt letzterer von Mackeys Immunität. Sie beide waren die Schlimmsten im Team, Lem als moralisch Integerster starb zuerst (durch Vendrells Hand) und nun kommt einzig Mackey unbelangt davon. Im Zorn wirft Mackey zudem Vendrell an den Kopf, dass er dessen Kinder an ihren Geburtstagen besuchen werde, während Vendrell und seine Ehefrau im Gefängnis säßen. Damit trägt Mackey auch Schuld am Tod der ganzen Familie Vendrell: Ohne Geld und verletzt kehrt sie zurück in ihr Haus, die Flucht ist beendet, die Familie ist nur noch nicht gefasst. Als die Polizei - ehemalige Kollegen - das Haus stürmt, jagt sich Shane Vendrell eine Kugel in den Kopf, seine schwangere Frau und sein Sohn liegen aufgebahrt auf dem Bett, vergiftet.

Vic Mackey kehrt ein letztes Mal in seine Polizeiwache zurück, erfährt von Vendrells Tod. Ronnie Gardocki, trotz allem davon schwer getroffen, meint unter Tränen: "Endlich frei von der ganzen Scheiße, die über unseren Köpfen hing. Daran hab ich nicht mehr geglaubt." Doch Mackey zögert zu lange, ihm die Wahrheit zu erzählen - was zudem ein Verstoß gegen sein Immunitätsabkommen wäre - und wird weggerufen. Im Verhörräum, auf dem Platz des Verdächtigen, wird ihm Vendrells Abschiedsbrief vorgelesen:
«Die Schuld liegt bei mir und Vic. Vic ist vorangegangen, aber ich bin immer gefolgt. Ich glaube nicht, dass einer von uns schlimmer ist als der andere, aber wir haben uns gegenseitig zu etwas getrieben, das schlimmer war als jeder für sich. Ich wünschte, ich wäre ihm nie begegnet. [...] Ich war, was ich war, und diese Person kann ich nicht mehr sein.» (Auszug)
Mackeys Gesicht ist von Trauer gezeichnet, doch dann verhärten sich seine Züge. Er reißt die Überwachungskamera von der Wand, sieht dabei aus wie ein brutaler Straßenschläger. "Stell's mir in Rechnung", grunzt er beim Verlassen des Raumes. "Mach ich und die erste Rate wird sofort fällig", antwortet der Captain. Und Ronnie Gardocki, Mackeys letzter Freund, wird für die Taten des Strike Teams in den über die Serienlaufzeit vergangenen drei Jahren verhaftet. Während er erst ungläubig, dann Mackey wild beschimpfend abgeführt wird, verlässt dieser - er bringt seine Familie als schwache (und sachlich falsche) Entschuldigung vor - unter den von Abscheu und Geringschätzung geprägten Blicken seiner ehemaligen Kollegen und Freunde die Wache, die passend in einer alten Kirche untergebracht ist.

An seinem neuen Arbeitsplatz muss er dann erkennen, dass er kaltgestellt wurde: Anzugpflicht, Aktenarbeit, keine Dienstwaffe, keine Außeneinsätze. Er baut Fotos seiner Familie in der kleinen Schreibtischzeile im Großraumbüro auf, doch wird er sie wohl nie mehr wiedersehen. Keine Familie, keine Freunde. Als das Licht ausgeht, greift er zu seiner Privatwaffe und verlässt das Gebäude. Wie wird er seiner persönlichen Hölle entkommen? Kann er noch sein, was er ist...?

PS: Oliver Nöding über die Serie.

The Shield | USA 2002-2008 | Created by Shawn Ryan | Darsteller: Michael Chiklis, Walton Goggins, Kenny Johnson, David Rees Snell, CCH Pounder, Jay Karnes, Catherine Dent, Michael Jace, Benito Martinez u.a.

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Samstag, 28. Mai 2011

Noise

«Noise is an unsettling experience from the opening scene to the final shot, but it’s an unforgettable study of how a crime unfolds and resolves, told from the perspective of a victim and a police officer, and the community they inhabit. It’s creepy, stylish, as unmistakably Australian as Picnic at Hanging Rock, genre bending, and flat-out unforgettable. For better or worse — you may very well hate it — it’s one of those movies that will bounce around inside your head as sure as the ringing in your ears after a gunshot.» (Tom Chick)
Noise
AUS 2007 | IMDb | OFDb
Regie: Matthew Saville
Buch: Matthew Saville
Darsteller: Brendan Cowell, Maia Thomas, Luke Elliot, Katie Wall, Nicholas Bell, Fiona MacLeod, Henry Nixon u.a.

Sonntag, 15. Mai 2011

Zone of the Enders: Fringe & SGU

Vor kurzem sind die jüngsten Staffeln der US-Serien Fringe und Stargate Universe zuende gegangen; bei Fringe war es Season 3, bei SGU die zweite Staffel - und dort auch gleichzeitig der vorzeitige Serienabschluss. Damit verschindet das Stargate-Franchise erstmal von der Mattscheibe und rückblickend kann man durchaus mit einer Auszeit leben.

Stargate Universe

Die erste Serie Stargate SG-1 lief zehn Jahre mit deutlicher Qualitätsabnahme zum Ende hin, der Ableger Atlantis brauchte einige Staffeln, um ein ordentliches Niveau zu erreichen. Ein drittes Mal konnte das Konzept um lustig-sympathische Weltenretter aber nicht durchgezogen werden und so war SGU beim Start 2009 deutlich vom düsteren Battlestar Galactica-Remake (2004-2009) geprägt.

Die Ausgangssituation war spannend: Eine Gruppe von Soldaten und Forschern verschlägt es auf ein uraltes Raumschiff namens Destiny, das auf Autopilot durch ein unerforschtes Gebiet des Universums fliegt. Abgeschnitten von Heimat und Nachschub entstehen bald Konflikte zwischen den militärischen und zivilen Teilen der Besatzung, verdeutlicht durch den Machtkampf zwischen Colonel Everett Young und dem soziopathisch anmutenden Genie Nicholas Rush (Robert Carlyle!). Nach einigen handfesten Auseinandersetzungen und Eskalationen gibt die Serie dann leider dem Franchise entsprechend der Armee als Befehlsgewalt den Vorzug, Meinungsverschiedenheiten laufen seitdem meist nur noch nebensächlich mit.

Die Isolation der Besatzung wird durch die fehlende Kontrolle über das wenig heimelige Schiff und den scheinbar unbewohnten Weltraum verstärkt, aber nach wenige Folgen ist von Verzweiflung nicht mehr allzu viel zu spüren. Das liegt unter anderem daran, dass frühzeitig ein Aliengerät existiert, mit dem man mit der Erde kommunizieren, ja geradezu physisch interagieren kann; bei Star Trek: Voyager dauerte dies Jahre. Unter dem scheinbaren Druck, die (zahlreichen) Charaktere in dieser Serie jetzt menschlicher zu zeichnen, wurden frühzeitig und gehäuft lange Szenen mit den Angehörigen auf der Erde eingebaut. Leider war dies meist wenig spannend, vor allem, da es kaum Enthüllungen à la Lost-Flashbacks über die Charaktere gab, die dem Zuschauer zum Start der Serie auch noch recht egal waren. Als schließlich bekannte Gegner aus der Heimat auftauchten, schien es, dass die Serienmacher mit dem Konzept "Leerer Weltraum, führerloses Raumschiff" wenig anzufangen wussten. Auch die Handvoll Aliens, die auftraten, waren entweder uninspiriert oder wurden verheizt; ein Gefühl für sie entwickelte der Zuschauer nie. Nachdem die Crew schließlich die volle Kontrolle über das Schiff erlangte, wurde als große Story die Suche nach einem quasigöttliche Code im Sternenstaub des Weltalls eingeführt. Aber auch hierbei war die Idee interessanter als die Umsetzung, denn Fortschritte gab es in der zweiten Staffel dazu nicht. Stattdessen wurden Kampfdrohnen eines ausgestorbenen Volkes eingeführt, die alles Leben jagten - erinnert doch (zu) stark an die SG1-Replikatoren und wer jetzt auf Terminatoren oder ähnliches hofft: Es waren nur Raumschiffe. Zeitreise-BS wurde leider auch bemüht, worauf immerhin clevere Rückbezüge eingebaut wurden.

Am Ende sahen wir also eine Menge gelungener Ideen - wenn auch klar von BSG und STV beeinflusst -, die leider kaum konsequent umgesetzt wurden. Das Serienende selbst ist jedoch versöhnlich: Um eine lange Strecke ohne Versorgungs- und Energienachschub zu überstehen, muss sich die gesamte Mannschaft für Jahre in Kryostase versetzen. Nur eine Kälteschlafkammer funktionert nicht (so ein Zufall...), weswegen sich das junge Genie und mehr als heimlicher Star der Serie, "Math Boy" Eli Wallace nicht einfrieren lässt [okay, die richtigen heimlichen Stars sind neben den Mädels :-) die Wissenschaftler der zweiten Reihe, Dale Volker und vor allem Adam Brody]. Vielleicht wird er die Kammer noch reparieren können, zwei Wochen Zeit hat er noch. Lächelnd steht er einsam auf dem Aussichtsdeck der Destiny, während diese langsam in den endlosen Weiten des Weltalls verschwindet...

Fringe

Als die Mystery/SF-Serie Fringe 2008 startete, bekam sie wahrscheinlich am meisten Aufmerksamkeit, weil Lost-Schöpfer J. J. Abrams und John "Denethor" Noble mit an Bord waren. Ich empfand damals den Serienauftakt als unterhaltsame, wenn auch blödsinnige Akte X-Neuauflage und die erste Staffel hindurch war Fringe eher ein guilty pleasure. Erst mit der zweiten Season wurde die größere Hintergrundstory greifbar und mit dem Staffelfinale hob Fringe zu einem erstaunlichen Höhenflug ab. Der Überlebenskampf zweier Paralleluniversen samt doppelter Protagonisten war spannend, einfallsreich und funktionierte auch auf emotionaler Ebene, weil der Zuschauer mittlerweile die Charaktere gut kannte. Man musste immer noch eine Menge grenzwissenschaftlichen Kram hinnehmen, die offenen Fragen und möglichen Endszenarien wuchsen an. Und dann nahmen die Serienmacher zum Ende der dritten Staffel Anlauf und traten dem Zuschauer mächtig zwischen die Beine! Ohne Not griff man auf eine Zeitreise zurück, um einige Fragen auf ernüchternd unspektakuläre Weise zu beantworten, die Serienrealität rückwirkend zu verändern und zudem den herbeigesehnten Zusammenstoß der Figuren aus beiden Universen zu ruinieren! Fassungslosigkeit beschreibt meinen Gemütszustand nach der letzte Folge. Da muss die vierte Season einiges zurechtbiegen...

PS: Falls jemand an Impressionen der Fringe-Folgen 3.10 bis 3.22 interessiert ist, einfach hier nachfragen, ich publiziere sie dann für die, äh, Öffentlichkeit (teils schon geschehen).

Sonntag, 24. April 2011

Embedded Documentarists: Armadillo & Restrepo

Aktuelle Kriegsbilder sind in unserer heutigen Medienwelt nichts ungewöhnliches mehr. Von den sauberen Materialschauen des Zweiten Golfkriegs über vermeindlich authentischen "eingebetteten Journalismus" im Irakkrieg bis zu allgegenwärtigen HD-Kameras, Videohandys und Leaks via Internet ging der Fokus immer näher heran. Die beiden Filme Armadillo und Restrepo wollen nun den Soldatenalltag in den titelgebenden Außenposten unmittelbar aus Sicht der Beteiligten zeigen, während das Dokumentationsgenre als seriös-authentifizierender Rahmen fungiert.

Armadillo (2010) von Janus Metz begleitet dänische Soldaten in der Provinz Helmand in Südafghanistan 2009. Abgesehen von Abreise und Heimkehr bleibt der Film kommentarlos und weitgehend teilnahmslos in Afghanistan. Die Neuankömmlinge werden schnell von der Wechselwirkung aus Camp-Langeweile und der steten Bedrohung durch die Taliban erfasst. Das zähe Ringen um das Vertrauen der Bevölkerung gepaart mit vorsichtiger Paranoia führt immer wieder zu Kollateralschäden, die mit Geld vergolten werden. Die Erscheinung der Soldaten ist zunehmend heruntergekommen, einer ähnelt gar erschreckend der Titelfigur der Medal of Honor-Neuauflage. Einem filmischen Finale entsprechend gerät schließlich eine Patrouille in ein unübersichtliches Feuergefecht, aus dem die dänischen Soldaten als Sieger mit einem langanhaltenden Hochgefühl hervorgehen. Ein Großteil wird laut Abspann einen weiteren Einsatz in Afghanistan bestreiten.

Restrepo (2010) von Tim Hetherington und Sebastian Junger zeigt eine US-Einheit im Korengal-Tal im Osten Afghanistans 2007 bis 2008. Schon der Vorspann klärt auf, dass dies eine der gefährlichsten Regionen sei, in der Amerikaner stationiert sind. Im Gegensatz zu Armadillo werden immer wieder Interviews der Soldaten eingespielt, Guido-Knopp-Style, es finden auch öfters Interaktionen mit der Kamera statt. Restrepo ist ein winziges, dem eigentlichen Außenposten vorgelagertes Camp, benannt nach einem getöteten Kameraden, welches im Film errichtet wird und die Sicherheitslage in der Region verbessern soll. Der Abspann verrät, dass die USA im April 2010 das Tal nach fast 50 Verlusten aufgaben. Anscheinend haben die Soldaten schon Erfahrungen mit derartigen Sisyphos-Projekten, denn sie sind deutlich abgeklärter und unnachgiebiger als die Dänen: Der Kommandant schnauzt die Dorfältesten an, monetäre Entschädigung für Kollateralschäden gibt's nicht. Während die Lager ähnlich heruntergekommen aussehen wie Armadillo, ist die technische Ausstattung der Amerikaner deutlich besser: Die Dänen starten Dronen von Hand, hier werden konstant Apaches und Bombenangriffe angefordert, während die Umgebung mit speziellen Sichtgeräten beobachtet wird.

Neben der vorherrschenden Resignation und Ignoranz kommt natürlich auch der Kampfrausch der Soldaten vor. Während Armadillo sich darauf konzentriert und einem "echten" Hurt Locker entsprechend die Sucht- und Verrohungswirkung darstellt, zeigt Restrepo überraschend emotionale Zusammenbrüche der gemeinhin als tough porträtierten US-Soldaten: Der Tod in einer aus westlichen Augen für Afghanistan untypischen Schnee- und Waldlandschaft.

Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Beide Werke sind ungemein packend. Ich hatte das Gefühl, Dinge zu sehen, die man so bisher nicht kannte: die Unmittelbarkeit, die Echtheit der Todesgefahr. Und doch hinterfrug ich konstant das Gezeigte, denn Montage und Musik entsprechen den Konventionen fiktionaler Filme. Besonders bei Armadillo wirkt es so, als ob die Filmemacher gar nicht vor Ort sind, unsichtbar, weil kein Austausch mit den Soldaten stattfindet. Es mag sein, dass unter so gefährlichen Bedingungen man die Kamera schneller als üblich vergisst, aber in Restrepo interagierten Soldaten auch mal damit.

Teils werden örtlich getrennte Szenen montiert und es ist nicht nachvollziehbar, ob alles tatsächlich gleichzeitig passiert und wie viele Kameraleute nun eigentlich gerade beteiligt sind. Musikalische Untermalung und Hubschrauber in Zeitlupe lassen derweil an Apocalypse Now denken, während mir Blair Witch Project einfällt, wenn sich der Kameramann unter Beschuss wenig elegant in den Staub wirft. Verrückt, diese unsinnige Rückkopplung! Vielleicht habe ich die zwei Dokumentationen konstant mit Hollywoodfilmen abgeglichen, weil auch eine klassische Dramaturgie existiert: In Restrepo wird das Camp aufgebaut und schließlich bei einem unübersichtlichen Kampf gegen unsichtbare Feinde ein Kamerad tödlich verwundet. Armadillos Finale ist der direkte Feuerkampf - festgehalten mit Helmkameras. "Da hatten die Macher aber Glück, dass sich alles in passender Reihenfolge ereignete", war mein Gedanke.

Tim Hetherington und sein Fotografenkollege Chris Hondros kamen am 20. April im syrischen Misrata durch einen Mörserangriff ums Leben.

Armadillo
DK 2010 | IMDb | OFDb
Regie: Janus Metz (Pedersen)
Kamera: Lars Skree u.a.


Restrepo
USA 2010 | IMDb | OFDb
Regie: Tim Hetherington, Sebastian Junger
Kamera: Sebastian Junger, Tim Hetherington u.a.

Sonntag, 17. April 2011

Fringe: Lysergsäurediethylamid

Man vermutet, dieser zweitverwertete Stream of Consciousness behandelt die Fringe-Folge 3.19; es kommen Spoiler vor!

Es gibt sie, die Episoden oder Szenen, die eine Serie transzendieren. Wo man etwas sieht, was man noch nicht kannte, nicht erwartete oder sich nicht ausmalen konnte. Der Mund steht offen. Ejakulat tropft von der Mattscheibe. 1997, Babylon 5, "Homo superior" - Garibaldis Verrat an Sheridan in Stroboskoplicht und Fotografien. 2000, Millennium, "Die Zeit ist nahe" - die Apokalypse als neunminütiges Musikvideo zu Patti Smiths "Land". 2007, Stargate SG-1, "200" - die Marionettensequenz.

2011, Fringe, "Lysergic Acid Diethylamide". Mittlerweile schauen wir Serienfolgen direkt nach Release, all hail to the WWW. Wir setzen uns die Fixes sofort, was passt da besser als eine Drogenepisode. Oder eine Unterbewusstseinsfolge. Oder beides. Nichts neues, wurde oft gemacht, funktioniert immer für Lacher. Auch bei Fringe. Schon vor dem Einsatz von Rauschmitteln lassen Astrids subtile Miene, als Bellivia "Kids" sagt, oder Walters Ruf nach Astrid mitten in ihr Gesicht das gekünstelte Schauspiel Anna Torvs als William Bell vergessen. Broyles kann lachen! Inception. Und dann A Scanner Darkly! Leonard Nimoy hatte wohl keine Zeit? Zum Glück! Ja, die Animationen sind nicht besonders flüssig und die Figuren sehen ihren echten Vorbildern kaum ähnlich. Ja... und?! Kommt ein Vogel geflogen.

Das Unterbewusstsein von Olivia ist an sich ähnlich unspektakulär - oder einfallslos - wie in Inception. On Purpose? Unspektakulär vergeht auch Bell. Kein Soul Upload in zusammengesteckte Rechner. Walter hat seinen besten Freund endgültig verloren, aber er braucht Bell nicht mehr, er hat in seinem langen Leben die Weisheit der Demut erlangt. Olivia ist wieder sie selbst, hat sich selbst gefunden, "but I think that he's the man who's gonna kill me." Ach ja?!

"Of course! LSD!"

PS: Mehr Kritik und Analysen gibt es wie immer bei Cordial Deconstruction und Serienjunkies.

Samstag, 16. April 2011

Spaß am Mittelmaß: The Gates & V [Update]

Dies ist mal wieder eine eigene Zweitverwertung. Oder eine zweite Eigenverwertung?

The Gates
= Eureka + Desperate Housewives + Twilight/True Blood/Vampire Diaries o.ä.

Das nach 13 Folgen bereits wieder abgesetzte "supernatural crime drama" (Wikipedia) The Gates spielt in der gleichnamigen elitären, abgeschirmten Wohnsiedlung, dessen neuer Sheriff der Protagonist zu Beginn wird und mit seiner Familie hinzieht. Dem Zuschauer ist von vornherein bekannt, dass einige Bewohner (friedliche) Vampire sind, nach nur zwei Episoden gibt es noch Werwölfe, Kräuterhexen und Succubi. Das hört sich alles ziemlich generisch an, aber im Gegensatz zu Reißbrettserien wie The Event fand ich The Gates unterhaltsam: Die Übernatürlichen, ihre Machtstrukturen und ihre Maskerade, Kriminalfälle, Familien-/Nachbarschaftsleben, Teenage Love und zwielichtige Personen - wider Erwarten ist dies nicht überladen, sondern funktioniert meist gut, weil miteinander verzahnt. Das liegt auch am "Pacing", denn wo bspw. The Cape neun Folgen braucht, um halbwegs loszulegen, benötigt The Gates keine Anlaufzeit, präsentiert fortwährend Entwicklungen und Enthüllungen (quasi jede Figur hat Leichen im Keller) und findet eine gute Mischung aus Suspense, Surprise und Mystery. Es wird nie klar gesagt, was alles in der Welt von The Gates möglich oder existent ist - natürlich um sich alles offen zu halten. Manchmal knarzt die Logik, aber selten in ärgerlicher Weise; das Ende der Serie ist angemessen abgeschlossen. Die Gesichter mancher männlicher Darsteller würde ich euphemistisch als "interessant" bezeichen (einer sieht aus wie ein Mix aus Martin Schmitt und Hayden Christensen), dafür gibt's einige MILFs =). Mir hat's gefallen, dabei habe ich aber auch "langweilige" Szenen vorgespult.

The Gates | USA 2010 | Created by Grant Scharbo & Richard Hatem | Darsteller: Frank Grillo, Marisol Nichols, Luke Mably, Rhona Mitra, Chandra West, Skyler Samuels u.a.

V
= V – Die außerirdischen Besucher kommen + Earth: Final Conflict

Über den Großstädten der Welt tauchen riesige Raumschiffe auf, deren Besatzung sich als friedliebende und hilfsbereite "Besucher" (Visitors/Vs) in Menschengestalt zu erkennen geben - "we are of peace, always" - und (zu) schnell offiziell auf der Erde willkommen geheißen wird. Doch die Aliens haben nicht nur Gutes im Sinn, weshalb sich unter Eingeweihten ein geheimer Widerstand bildet - mithilfe abtrünniger Aliens...

Die Neuauflage des Originals von 1983-85, das ich nie gesehen habe und vor allem durch "Jane Badler isst Ratten" mir bekannt ist, umfasst momentan 22 Folgen in zwei Staffeln. In Staffel 1 geht es um erste Enthüllungen der Alien-Agenda und die Entstehung des Widerstands, das Spannungsverhältnis von V-Befürwortern und -Gegnern (auch innerhalb der Familie) und dezente Paranoia, wer auf welcher Seite steht oder gar ein Alien ist. Vieles wird aber schon recht früh offenbart, auch wenn genaue Details im Dunkeln bleiben - z.B. woher die Aliens kommen und was sie genau sind (die Serie vermischt grenzwertig Echsen, Insekten und Vulkanier...). An diesem Punkt wird die Serie entnervend unglaubwürdig, da der verbündete Besucher von den Protagonisten einfach nicht ausgefragt wird, natürlich um den Zuschauer bei der Stange zu halten! Generell ist der Handlungsverlauf öfters nicht allzu logisch, auch weil die Alientechnik immer so gut oder schlecht ist, wie es die Dramaturgie erfordert. Einige Dialoge sind realitätsfern und dümmlich, wenn Offensichtliches für den begriffsstutzigsten Zuschauer zusammengefasst wird. Weil auch noch die Spezialeffekte teils erstaunlich mittelmäßig sind, bleibt die Frage, was die Serie dann noch halbwegs rettet:

V findet ein ordentliches Mittelmaß aus eher anspruchsloser Unterhaltung (aber mit ein paar Kniffen), angenehmem Erzähltempo und interessanten Charakterkonstellationen. Okay, eigentlich ist es halt Science-Fiction mit drei Genre-Hotties aus Lost, Firefly/Stargate und Smallville, die sich alle herrlich in bedrohlichen, verführerischen und wissenden Gesichtsausdrücken austoben - die Serie könnte auch B für "Bitch" heißen. Erwähnentswert noch ein Reporter, der Sohn der Heldin sowie einige bekannte SF-Nebendarsteller: Ersterer sieht aus wie Michael J. Fox, zweiterer wie ein schmieriger Hinterhof-Pornodarsteller.

Die zweite Staffel aus zehn Episoden zeigt endlich mehr von den Aliens, führt aber auch einen jungen Wissenschaftler für mehr Comedy ein (bekannt aus Reaper), der zwar recht witzig ist, aber nicht unbedingt zur Serie passt. Das Geschehen wird deutlich dramatischer und zu eine konstanten Zerreissprobe für die Beziehungen aller Charaktere! Der Background und Masterplan der Aliens ist jedoch wirr, zudem plötzlich die "menschliche Seele" bemüht wird. Das generelle Problem: Was passiert, ist gelungen, aber es krankt am Wie! Die Dialoge sind im Vergleich zur ersten Staffel nochmals eine Stufe dümmer - alles muss erklärt werden, wo es doch eh gezeigt werden wird! Besonders zum Ende wird der Handlungsverlauf teils arg ruckartig und willkürlich, Inkonsequenzen und Logikbrüche inklusive (z.B. englische Texte bei Aliencomputern?!). Wer die Figuren nicht mag, dürfte sich mit der Staffel bzw. der Serie schwer tun - dafür ist das Finale aber hervorragend düster. Ich würde eine dritte Season begrüßen, dann bitte mit weniger Blödsinn.

Update: V wird keine weitere Staffel erhalten.

V | USA 2009+ | Developed by Scott Peters | Darsteller: Elizabeth Mitchell, Morena Baccarin, Morris Chestnut, Joel Gretsch, Charles Mesure, Laura Vandervoort, Scott Wolf, Logan Huffman u.a.

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